Größere Ansicht anzeigen

Peter der Größte

Zum 80. Geburtstag: Warum der geniale Schauspieler Peter O‘Toole nie einen regulären Oscar gewinnen wird - Eine Begegnung mit dem schlagfertigen Künstler

von Marc Hairapetian

Drucken

Peter O‘Toole Ist Peter O‘Toole der uneheliche Sohn von Orson Welles? Das mutmaßte 1996 Filmkritiker David Thomson in seinem Buch „Rosebud - The Story of Orson Welles“. Charakterdarsteller O‘Toole wurde am 2. August 1932 im irischen Connemara (an sich als Sohn eines Buchmachers und einer Krankenschwester) geboren, wo der damals 17jährige US-Amerikaner Welles lebte. Beide werden in der Film- und Theater-Welt als Giganten bezeichnet, auch wenn sie von der Physiognomie und vom Spielstil betrachtet kaum unterschiedlicher sein könnten. Zumindest würde es erklären, dass Genie vererbbar ist. Gemeinsam haben beide nicht nur das fast identische Gardemaß von 187 cm (Welles) beziehungsweise 190 cm (O‘Toole), sondern auch jeweils einen Ehrenoscar (Welles 1971, O‘Toole 2003). Während Welles zumindest 1942 einen „regulären“ Academy Award für das „Beste Drehbuch“ zu Citizen Kane“ erhielt, ansonsten in den Kategorien „Bester Hauptdarsteller“, „Beste Regie“ und „Bester Film“ leer ausging, ist Peter O Toole der mit acht „Bester Hauptdarsteller“-Nennungen (für „Lawrence von Arabien“, 1962; „Becket“, 1964; „Der Löwe im Winter“, 1968; „Goodbye, Mr. Chips“, 1969; „The Ruling Class“. 1972; „Der lange Tod des Stuntman Cameron“, 1980; „Ein Draufgänger in New York“, 1982; „Venus“, 2006), der zumeist nominierte Schauspieler, der nie diesen Wettbewerb gewann. Damit stach er sogar Montgomery Clift, Oskar Werner sowie seine engen Freunde Richard Burton und Laurence Harvey aus, die alle über Nominierungen nicht hinauskamen.
Der schlaksige Beau mit den wasserblauen Augen und den so natürlich gefärbt wirkenden blonden Haaren, der auf die Verkörperung von gebrochenen Helden abonniert scheint, weigerte sich zunächst, den Sonderpreis der Academy of Motion Picture Arts and Sciences anzunehmen. Er schrieb der „feinen Gesellschaft“ einen Brief, in welchem er mitteilte, dass er noch „im Spiel sei“ und gern mehr Zeit hätte, zumindest zehn Jahre, um den „hübschen Kerl“ zu gewinnen. Die Academy entgegnete, dass sie ihm den Oscar für sein Lebenswerk verleihen würde, ob es ihm nun passe oder nicht. Als er in der Talkshow Charlie Rose weiter darauf beharrte, den Ehren-Oscar nicht entgegennehmen zu wollen, versuchten ihn schließlich seine Kinder vom Gegenteil zu überzeugen. So entschied sich O‘Toole doch noch, zur Verleihung zu erscheinen. Die Trophäe wurden ihm dann ausgerechnet von Meryl Streep überreicht, die mittlerweile mit vier Auszeichnungen den Oscar-Rekord als Schauspielerin hält...
Peter O‘Toole Doch Preise können Patina ansetzen, zumal O‘Toole für seine besten Leistungen - allen voran als „Lord Jim (1965), der in Richard Brooks kongenialer Joseph-Conrad-Adaption im fernöstlichen Dschungel nach der „zweiten Chance im Leben“ sucht, nicht einmal nominiert war. Viel wichtiger ist, dass ihn das Publikum weltweit bis heute liebt. Was macht die Faszination des Peter Pans unter den Schauspielern aus?
Schöner als er ist kein Weißer durch die Wüste geritten. Kühner hat niemand mit seinen arabischen Brüdern Attacken gegen die türkischen Besatzer geführt. Verzweifelter hat kein Mime beim Verlust seiner treuen Bediensteten in den wolkenlosen Himmel geschaut. Die Rede ist von „El Aurens“ O‘Toole in seinem Durchbruch zum Weltstar in David Leans Meisterwerk „Laurence von Arabien“ (1962). Der wirkliche Lawrence mass nur 163 cm, doch das tut nichts zur Sache. Das Anders sein, ob es sich nun um eine Lebensphilosophie oder die sexuelle Orientierung handelt, ist wohl kaum eindrucksvoller verkörpert worden als von O‘Toole, der sich höchstens nur noch selbst übertreffen konnte - wie in der Rolle des „Lord Jim“ Den eigenen Helden-Status relativierte er hier selbst in einem philosophischen Gespräch mit seinem von Paul Lukas gespielten väterlichen Freund „Papa Stein“: „Ich bin ein sogenannter Feigling gewesen und ein sogenannter Held... Ich glaube, Feiglinge und Helden sind nur Menschen, die im Bruchteil von Sekunden etwas außergewöhnliches tun.“ Außergewöhnlich ist in der Tat alles, was der seinerzeit mit 23 Jahren jüngste „Hamlet“ des renommierten Bristoler Old Vic Theatre später auf der Leinwand tat. Der leidende Zug um seinen Mund ist zu seinem erotischen Markenzeichen geworden, ob in „Lawrence von Arabien“, „Lord Jim“ oder als Prostituierte mordender Wehrmachtsgeneral Tanz in Anatole Litvaks „Die Nacht der Generale“ (1967). In allen drei Filmen wurde er auf Deutsch von Sebastian Fischer synchronisiert, dem er nie persönlich begegnete. O‘Toole beherrscht nicht nur das ernste Fach, sondern auch die Komödie, zu der er sich erst zwingen musste, dann aber brillierte wie an der Seite von Audrey Hepburn in „Wie klaut man eine Million?“ (1966) oder umgeben von gleich einem Haufen internationaler Schönheiten in „Was gibt‘s Neues, Pussy?“. Und im letztgenannten Film demonstriert er als nymphomaner Modejournalist zu den Klängen des von Burt Bacharach komponierten und Manfred Manns Leadsinger Paul Jones intonierten Song „My Little Red Book“ im Pariser Crazy Horse Club, dass ein männlicher Striptease auch sexy sein kann. Ab den 1970er Jahren wurde seine Rollenauswahl noch exzentrischer. Paradebeispiele sind sein geisteskranker, zutiefst religiöser Aristokrat Jack Gurney in „The Ruling Class“ oder der gegen die Windmühlen des Lebens kämpfenden Miguel de Cervantes/Don Quijote im Musical „Der Mann von La Mancha“ (1972) . In dem Skandal-Film „Caligula“ (1979), aus dem Regisseur Tinto Brass aufgrund des Hinzufügens von Hardcore-Szenen der Penthouse-Produzenten seinen Namen im Vorspann zurückzog, bewies O‘Toole als Kaiser Tiberius Mut zur Hässlichkeit. Vollkommen verwirrt, raunte ihm ihm Kollege John Gielgud beim Dreh zu: „Sag, Peter, spielen wir jetzt in einem Pornofilm mit?“
Peter O‘Toole Peter Seamus O‘Toole, der ehemalige Journalist (er arbeitete vor seiner Stipendium an der Royal Academy of Dramatic Arts als Reporter und Fotograf für die Yorkshire Evening News ) und später exzellente Autobiograph („Loitering with Intent“), spielt für seine Klientel und ist dennoch äußerst öffentlichkeitsscheu. Er vermeidet Interviews, wenn er sich allerdings dazu überreden lässt, ist er kaum zu stoppen. In seinem bestens gesicherten Haus im Londoner Stadtteil Hampstead empfängt er nur selten Gäste. Die können seine exquisite Antiquitätensammlung bewundern. Alkohol bietet der vorbildlich gealterte Gentleman nicht an - nachdem er Mitte der 1970er Jahre bei einer Leberoperation „fast drauf gegangen“ wäre, rührt er keinen Tropfen mehr an. Ehrlich gibt er zu, es zu genießen, ein Star zu sein. Mag er auch Fragen? „Oh, ja - wenn sie interessant sind!“, kommt es schlagfertig zurück. Ist sein Image als „Schwieriger“ eine Unterstellung der Presse oder Wahrheit? O‘Toole antwortet augenzwinkernd: „Ich gehöre ja zum Götter-Clan, also zum Verein der Schauspieler, Nachrichtensprecher, Rennpferde und Regisseure. Wir werden alle angebetet, und das bedeutet auch, dass alles, was wir tun, wahnsinnig wichtig ist. Nun kann man sich dauernd kontrollieren. Oder man schert sich einen Teufel drum. Ich habe immer letzteres bevorzugt.“ Sein Lieblingspublikum sieht der dreifache Vater, der um seinen aus der Verbindung mit dem Model Karen Brown stammenden Sohn Lorcan einst einen erfolgreichen Sorgerechtsstreit führte, in den Kindern, bei denen er sich größter Beliebtheit erfreut : „Die sprechen mich natürlich mehr auf meine ,Lassie kehrt heim“-Verfilmung von 2005 an als auf ,Lawrence von Arabien‘ von 1962. Wir müssen auch junge Menschen respektieren. Lassen sie mich Konfuzius zitieren: ,Respektiere sie, denn sie werden eines Tages all das sein, was du jetzt bist.“ Wie entspannt sich Peter der Große beim besten? „Mit Cricket spielen und Musik hören. Ich höre am liebsten Ludwig van Beethoven und Bob Dylan, der sich von allen mit dem Rock‘n‘Roll-Virus infizierten Künstlern am meisten weiter entwickelt hat“
Interessant ist auch die Auflistung der Filme, in denen O‘Toole mitspielen sollte, es aber nicht tat - oder die nicht zustande kamen. So war er in Stanley Kubricks nie realisiertem vierstündigen „Napoleon“-Epos als britischer Widersacher von Bonaparte vorgesehen. Für den ersten „Tron“-Film (1982), der die digitale Welt vorwegnahm und in das Innere eines riesigen Computers führte, wo eingescannte User und festinstallierte Programme sich erbitterte Kämpfe lieferten, absolvierte er Probeaufnahmen, bevor er das Handtuch schmiss: „Obwohl Teile des Films in meinem Lieblingsformat 70mm Panavision gedreht wurden wie einst ,Lawrence von Arabien‘ und ,Lord Jim‘ , kam mir diese Computergeschichte bei ,Tron‘ wie Hokuspokus vor. Peter O‘Toole Doch der Film hat seine Qualitäten, wie ich dann im Kino feststellen musste.“ Ist Orson Welles sein Vater? „Blödsinn!“, winkt er ab. Hat der Filmheld Angst vorm Sterben? „Überhaupt nicht, ich bin aber auch nicht scharf drauf.“ Was sollte denn auf seinen Grabstein stehen? „,Es wird schon reichen‘. Ich habe diesen Spruch auf dem Etikett einer chemischen Reinigung entdeckt, zu der ich meine Jacke brachte. Ich habe mich halb totgelacht!“ O‘Toole hegt eine leidenschaftliche Abneigung gegen Hollywood. Er hat dort kaum Filme gedreht, obwohl ihn in Kalifornien jeder kennt: „Was ich an der Traumfabrik nicht mag, ist die Inkompetenz. Außerdem stelle ich mir ein anderes Leben vor, als das in einer Filmkolonie. Nach der Arbeit brauche ich etwas anderes - auch wenn die Zeiten von Wein, Weib und Gesang für mich vorbei sind. Früher hingegen habe ich es mitunter ganz schön wild getrieben“, lacht er in sich hinein. Und warum meint er, hat er nicht schon den Oscar für „Lawrence von Arabien“ erhalten? „Die Academy-Mitglieder geben zwar gerne Frauen für ihre erste richtige Rolle einen Oscar, aber nicht Männern. Die müssen sich erst mit einem zweiten oder fünfzigsten Film die Sporen verdienen“, nimmt er es mit Galgenhumor. Trauriger Weise erhielt sein letzter große Film „Venus“, den „Notting Hill“-Regisseur Roger Michell mit viel Feingefühl inszenierte, keinen deutschen Verleih - trotz O‘Tooles Oscar-Nominierung für den Part eines frustrierten Schauspielerveterans, der durch die Begegnung mit einer ziellosen 19jährigen (Jodie Whittaker) aus seiner Lethargie gerissen wird. O‘Toole, der einen beim Abschied persönlich zur Tür geleitet, kann es verschmerzen: „In England kommen auch keine deutschen Erfolgsfilme ins Kino.“
Größere Ansicht anzeigen Kurz vor seinem 80. Geburtstag und nach oben stehenden Gespräch liess Peter O‘Toole eine Bombe platzen, die seine Anhängerschar mit Wehmut erfüllte. Am 10. Juli verlautbarte er in einem Statement, dass er die Schauspielerei an den Nagel hängen würde: „Es ist Zeit für mich, die Flinte ins Korn zu werfen, mich vom Film und von der Bühne zu verabschieden. Ich habe nicht mehr das Herz dafür, und es wird auch nicht mehr zurückkommen. Das Schauspieler-Leben brachte mir öffentliche Unterstützung, emotionale Erfüllung und materiellen Komfort. Es hat mich mit feinen Menschen zusammen geführt, mit guten Begleitern, mit denen ich das unausweichlicher Los aller Schauspieler geteilt habe: Flops und Hits. Wie auch immer glaube ich daran, dass jeder selbst entscheiden sollte, wann er geht. Deswegen beende ich meinen Job ohne eine Träne und sehr dankbar.“ Nun wird Peter der Größte einen regulären Oscar, für den er lange Zeit wie ein „Löwe im Winter“ und zu jeder Jahreszeit kämpfte, nicht mehr erringen. Es sei den, es gelingt einem jungen Filmemacher, O‘Tooles Schauspielerherz zu bezwingen, um das alte Feuer der Leidenschaft wieder zu entfachen.

Marc Hairapetian am 12. Juli 2012 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de