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Poesie gegen Ängste

Zum Tod von Otfried Preußler, dem geistigen Vater vom "Räuber Hotzenplotz"

von Marc Hairapetian

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Peter O‘Toole Otfried Preußler war nicht nur ein großartiger Schriftsteller, der die Grenzen von Kinder-, Jugend- und Erwachsenen-Literatur mühelos überwand, er war auch ein wunderbarer Mensch. Meine Tochter Laetitia-Ribana Orsina Siranoush hörte schon als Kleinkind mit mir zusammen die Hörspiele vom "Räuber Hotzenplotz" und befand, weil ich Anfang Februar geboren bin: "Papa, Du bist doch der kleine Wassermann!" Ihr liebstes Spielzeug war eine kleine Hotzenplotz-Fingerpuppe, die Kasperle, Prinzessin und Co. regelmäßig die Show stahl. Ihr größer Wunsch war es, den Räuber einmal kennen zu lernen. Ich sagte ihr, dass das schwierig wäre, da er doch in einem Fantasiereich, dem Land der Literatur, leben würde. Doch sie bedrängte mich weiter und so kam mir eine Idee: Zwei Tage vor ihrem dritten Geburtstag - am 16. September 2002 - schrieb ich Otfried Preußler einen Brief, mit der Bitte, vielleicht ein paar Zeilen an meine Tochter zu richten, die ich ihr vorlesen könnte. 48 Stunden später hatte sie Post - und zwar vom Hotzenplotz höchstpersönlich, der es sich nicht nehmen liess, eine Zeichnung von sich auf dem Briefbogen zu hinterlassen. Er wünschte ihr einen "wunderbaren Ehrentag" und endete mit "lustigen Rrrrrrrrrrrrrrräubergrüßen!" Im Post Skriptum stand: "Mein geistiger Vater, der Otfried Preußler, gratuliert Dir übrigens auch ganz herzlich!" Der eingerahmte Brief hat heute noch in der Küche neben einem Hotzenplotz-Plakat einen Ehrenplatz.
 Der am 20. Oktober 1923 in Reichenberg (damalige Tschechoslowakei) geborene und nun am 18. Februar in Priem am Chiemsee verstorbene deutschböhmische Autor, der nach dem entbehrungsreichen Zweiten Weltkrieg (fünf Jahre verbrachte der damalige Offizier mit Typhus, Malaria und Fleckfieber in tatarischen Gefangenenlagern) auch eine zeitlang als Journalist, tätig war, hatte Leser in der ganze Welt. Meine vietnamesische Freundin liest auch noch als Erwachsene seine hochdekorierten Erzählungen, ob es sich nun um "Der kleine Wassermann" (1957), "Die kleine Hexe" (1958) "Der Räuber Hotzenplotz" (1963), "Das kleine Gespenst" (1967) oder "Neues vom Räuber Hotzenplotz" (1970) handelt. Die weltweite Gesamtauflage seiner in insgesamt 55 Sprachen übersetzten 32 Bücher liegt bei 50 Millionen. Kritikern, die ihm nach der 1968er Bewegung vorhielten, man könne heute Kindern keine Geschichten mehr von Wassergeistern, Feen und Krokodildackeln erzählen, hielt er entgegen: "Gehört nicht zum vollen Menschsein auch die Fähigkeit zu fantasieren und träumen?". Der Vater dreier Töchter, der von 1953 - 1970 trotz seines literarischen Erfolgs, weiter als Volksschullehrer und später als Rektor immer im direkten Kontakt mit Kindern arbeitete, wollte keine "Lehrstücke schreiben, sondern Geschichten, die ihnen auf dem Weg der Poesie helfen, mit mancherlei Ängsten besser fertig zu werden".

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Das Foto der vietnamesischen Ausgabe von "Der Rauber Hotzenplotz" machte Marc Hairapetian am 22. Februar 2011 fur SPIRIT - EIN LACHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de)

 Als sein "Meisterwerk" bezeichnete er seine 1973 mit dem Europäischen Jugendbuchpreis ausgezeichnete Adaption der sorbischen "Krabatsage". Den Roman "Krabat", indem sich ein verwaister Lehrling gegen einen bösen Hexenmeister in der "Schwarzen Mühle am Koselbruch" auflehnt und am Ende als verwandelter Rabe durch die Liebe der jungen Kantorka erlöst wird, las er kongenial 1983 in einem dreiteiligen Hörbuch selbst ein. Karel Zemans 1977 entstandenen Trickfilm mochte er übrigens lieber als Marco Kreuzpaintners Realverfilmung mit David Kross von 2008.“  Zuletzt war Preußler, dessen Bilderbuchbearbeitung vom "kleinen Wassermann" ("Sommerfest im Mühlenweiher") soeben erschienen ist, ungewollt in die Schlagzeilen geraten, da der Thienemann Verlag zwei Kapitel von "Die kleine Hexe" "sprachlich modernisieren" will. So dürfen im Zeichen von fadenscheiniger politischer Correctness in der ab Juli erscheinenden Neuausgabe, Kinder nicht ihre "Schuhe wichsen" oder sich "als Neger, Chinesenmädchen oder Türke verkleiden"... Das Ende der Literatur naht. "Preußlers Todesumstände sind noch ungewiss. Auf seiner Webseite steht nur: "Die Präsentation wird gerade überarbeitet." Doch ich bin sicher - im Reich der Fantasie wird er jetzt mit Hotzenplotz und vielleicht auch Michael Ende, den er sehr schätzte, weitere Geschichten aushecken!

Marc Hairapetian am 20. Februar 2013 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de