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Science-Fiction als Weltliteratur

Zum Tode des Schriftstellers und Drehbuchautoren Ray Bradbury (1920 - 2012)

von Marc Hairapetian

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Johannes Heesters jung „Fahrenheit 451“ (1953) ist nicht nur die Temperatur bei der sich Papier selbst entzündet, sondern auch der vermutlich stilistisch bestgeschriebenste aller Science-Fiction-Romane. Ray Bradbury lieferte die Vorlage zu François Truffauts einzigem britischen Film, der kurz nach Erscheinen 1966 ebenfalls zum Klassiker avancierte. Im Zentrum der Dystopie steht der von Oskar Werner verkörperte Montag, der sich vom Bücher verbrennenden Feuerwehrmann zum Bücher bewahrenden Rebellen gegen den Staat wandelt. Erst als er zu lesen beginnt, wird er wirklich zum Menschen. Das ernste Buster-Keaton-Gesicht kann plötzlich lächeln und Flagge zeigen - gegen ein den Nazis nicht unähnliches Regime. Ray Bradbury war es auch, der mich zu meinem Lieblingsschauspieler Oskar Werner führte. Ich las 1983 erst den Roman, den mir mein Schulfreund Jens Olscher zusammen mit Jewgenij Samjatins „Wir“ empfohlen hatte. Auf dem Cover der rororo-Taschenbuchausgabe befanden sich Oskar Werner und Julie Christie. Über meine Mutter Mago zog ich dann Auskünfte über Werner ein, mit dem ich mir beim Lesen die Geschichte vor meinem inneren Augen schon vorgestellt hatte. Wenige Wochen später lief der Film im Kommunalen Kino Frankfurt am Main - und er übertraf bei weitem meine ohnehin schon große Erwartungshaltung. Wie Oskar Werner sich bewegte, wie er mit leicht österreichischem Akzent sprach, war so ganz anders wie man es sonst aus Science-Fiktion-Filmen gewohnt. Niemand, wirklich niemand kann so rezitieren wie er - und er schafft es ja auch die oberflächlichen Freundinnen seiner Frau Linda mit Edgar Allen Poes Geschichte von der langsam dahinscheiden „Eleonora“ zu Tränen zu rühren. Bradbury selbst war über die dem Original gegenüber leicht veränderte Verfilmung zunächst voll des Lobes, später hob er nur noch zwei Personen heraus: „Oskar Werner habe ich immer sehr gemocht. Und der Soundtrack von Bernard Herrmann ist exzellent. Sein finale Musik, wenn Montag zu den Buchmenschen gelangt, rührt mich jedes Mal zu Tränen. Für mich ist es ein ,Song of Humanity‘ - ein ,Lied der Menschlichkeit‘!“ Erst 2004, also über 50 Jahre nach Erscheinen des Romans, erhielt Bradbury den begehrten Hugo Award, dem wichtigsten Preis für SF-Literatur.
Der am 22. August 1920 in Waukegan/Illinois als Ray Douglas Bradbury geborene Visionär, der auch im Horror- und Phantastik-Bereich Maßstäbe setzte, beschrieb nahe Zukunftswelten, war aber selbst nicht allzu fortschrittsgläubig. So setzte er zeitlebens nie einen Fuß in ein Auto. Zu „Fahrenheit 451“ überliess er das Drehbuch Truffaut und Jean-Louis Richard, dafür schrieb er zusammen mit John Huston das Oscar nominierte Skript zur kongenialen „Moby Dick“-Adaption von 1956. Ein Kunststück, weil er zugab, Melvilles Meisterwerk vorher nicht gelesen zu haben. Seine Vorbilder waren eher Tolstoi und Dostojewski. In einer Dokumentation über den Journalisten Norman Corwin, der ohne Credit mit an „Moby Dick“, schrieb, stand Bradbury 1996 vor der Kamera. Bradbury selbst verzichtete auf eine Nennung im Vorspann für seinen Erzählertext zu Nicholas Rays Jesus-Film „König der Könige“ (1961).

Johannes Heesters jung Bradbury, von dem die Stories zu Science-Fiction-Filmen wie „Gefahr aus dem Weltall“ und „Panik in New York“ (beide 1953) oder Gedeon Kovacs Fernsehfilm „Ich auf Bestellung“ (1968, mit Günther Ungeheuer und Herbert Fleischmann) stammen, verfasste mehrere Drehbücher für „The Twillight Zone“ („Unheimliche Geschichten“, 1962, 1985/86), „Allfred Hitchcock presents/The Alfred Hitchcock Hour “ (1956-1962, 1964 und 1986) und „Bradburys Gruselkabinett (1985 - 1992). Aufsehen erlangte auch 1969 die Kinoversion seiner Kurzgeschichtensammlung „The Illustrated Man“ („Der Tätowierte“) mit Rod Steiger und Claire Bloom. Von der TV-Miniserie „Die Marschroniken“ (1981), das auf seiner berühmten Kolonialismuskritik an der Zukunft (!) basiert, distanzierte er sich aber. Gelegentlich stand der Vater von vier Töchtern, dessen beste Freunde Tricktechnik-Künstler Ray Harryhausen und „Dracula“-Darsteller Christopher Lee waren, auch selbst vor der Kamera: So als Partygast in George Cukors letztem Film „Reich und berühmt“ (1981). Am 5. Juni 2012 starb der bis zuletzt jeden Tag schreibende Mann (letztes Buch 2006 „Farewell Summer“), der das „Genre „Science-Fiction in das Reich der Literatur erhoben“ (New York Times) hat, im Alter von 91 Jahren in Los Angeles. Nach seinem Tod wird „Ray Bradburys Kaleidoscope“ in die Kinos kommen - genauso wie 2013 die Dokumentation „Live Forever - A Ray Bradbury Odyssey“.

Marc Hairapetian am 11. Juni 2012 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de