Cleopatra`s Walk on the Wild Side

 

Zum Tod des Filmkomponisten Elmer Bernstein

 

Von Frank Noack


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Von allen möglichen Filmkomponisten wird behauptet, sie seien vielseitig gewesen. Genauer betrachtet, hielt sich diese Vielseitigkeit in Grenzen. Bernhard Herrmanns Musik konnte je nach Bedarf brutal oder zärtlich klingen, schwermütig oder verspielt, aber er war unverbesserlich modern und hätte niemals Max Steiner bei „Gone with the Wind“ ersetzen können. Umgekehrt war Erich Wolfgang Korngold ein unverbesserlicher Spätromantiker, der sich allem Modernen verschloss; er hatte garantiert nichts mit Jazz am Hut, und man staunt schon über eine kurze flotte Rumba-Passage in seinem „Another Dawn“-Score.

Der Gegensatz, der hier angesprochen wird, ist der zwischen altmodisch und modern, zwischen naiv und aufgeklärt – wobei die Begriffe „altmodisch“ und „naiv“ nicht negativ gemeint sind. Man kann einen scharfsinnigen Intellektuellen nicht gegen ein aufgewecktes Kind ausspielen. Jede Entwicklungsstufe hat ihren Reiz. Auch im musikalischen Bereich.

Den soeben erwähnten Gegensatz konnte nur der 1922 geborene Elmer Bernstein in sich vereinen. Was er kurz nacheinander bei „The Man with the Golden Arm“ und „The Ten Commandments“ geleistet hat, dürfte einzigartig in der Filmmusikgeschichte, vielleicht sogar in der Musikgeschichte sein. Kein Musikexperte würde von sich aus darauf kommen, dass diese beiden Scores von demselben Komponisten stammen. Zu Otto Premingers Drogen-Drama „The Man with the Golden Arm“ (1955) schrieb Bernstein einen knallharten Jazz-Score, das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass Bernstein damals 32 Jahre alt und Jazz nur in Hollywood noch nicht etabliert war – er selbst kam aus New York, ihm dürfte der Jazz im Blut gelegen haben. Aber wie erklärt sich seine kongeniale Untermalung von Cecil B. DeMilles naivem Bibelspektakel „The Ten Commandments“?

„The Ten Commandments“, ab 1954 gedreht und 1956 vollendet, ist der einzig wahre Antikfilm. Denn es ist der einzige Antikfilm, der so aussieht, als sei er in der Antike gedreht worden. DeMille war ein Primitiver im besten Sinne. Hätte es um 1900 bereits Farb- und Tonfilme gegeben, sie hätten so ausgesehen wie „The Ten Commandments“. Kein Wunder, DeMille war ein Mann von Mitte siebzig. Es bleibt die Frage: Wie konnte sich der junge, moderne Elmer Bernstein in die Welt des Cecil B. DeMille hineinversetzen? Wie vermochte er sich Töne auszudenken, die selbst Richard Wagner als veraltet empfunden hätte?

Wenn das Guinness-Buch der Rekorde Komponisten ehren würde, die während eines Vorspanns besonders viele Leitmotive eingebaut haben, dann müsste Elmer Bernstein als Rekordhalter erwähnt werden. Für „The Ten Commandments“ und den von DeMilles geplanten, von Anthony Quinn inszenierten Piratenfilm „The Buccaneer“ (1958) ließ sich Bernstein gleich ein halbes Dutzend Leitmotive einfallen, auf die bei „The Ten Commandments“ noch weiteres ein Dutzend folgen sollten. Selbst der Nil bekam ein eigenes Thema.

„The Ten Commandments“ war ein herausragender kommerzieller Erfolg, die Musik kam bald auf Schallplatte heraus (wie die zu „The Buccaneer“), aber unter den vielen Oscar-Nominierungen befand sich keine für den Komponisten. Dem nicht gerade progressiven Komponisten-Establishment, das über die Nominierungen bestimmte, waren Bernsteins Ausflüge in die Spätromantik zu altmodisch. Da diese Sorte Film kaum noch hergestellt wurde, gab es auch kaum noch Gelegenheiten für Bernstein, den Triumph von „The Ten Commandments“ zu wiederholen.

Er fand schnell ein neues Wirkungsgebiet: den Western. Anthony Manns „The Tin Star“ (1957), John Sturges’ „The Magnificent Seven“ (1960) – das ist der Film mit der Marlboro-Musik – , Michael Curtiz’ „The Comancheros“ (1961), Sydney Pollacks „The Scalphunters“ (1967), mehrere John Wayne-Western, oder John Fords „Seven Women“ (1966), der in China spielt und dennoch von Westernklängen untermalt wird: All diese Abenteuerfilme inspirierten Bernstein zu robusten, uramerikanischen Kompositionen. Von seiner sensiblen Seite zeigte er sich bei Peter Glenvilles Alte-Jungfer-Drama „Summer and Smoke“ (1961) und Robert Mulligans „To Kill a Mockingbird“ (1962), der aus Kindersicht den Rassismus in den Südstaaten schildert. Im gerade erschienenen September-Heft des britischen Magazins „Sight & Sound“ wird dieser Score u.a. von den Regisseuren Joe Dante und Jonathan Kaplan wiederholt als Meilenstein erwähnt.

In den siebziger Jahren schrieb Bernstein fleißig Titelmusiken für TV-Serien und geriet dennoch ins Abseits. Er war kontinuierlich beschäftigt, nach außen erfolgreich, aber ihm fehlte die persönliche Note, und welcher Komponist möchte schon mit „Ghostbusters“ (1984) assoziiert werden? Eine Rückkehr zum religiösen Drama ermöglichte ihm ausgerechnet ein obskurer deutscher Film, Angelika Webers „Marie Ward“ (1985).

Erst Martin Scorsese holte ihn in die A-Liga zurück: Bernstein bearbeitete Bernhard Herrmanns „Cape Fear“-Score aus dem Jahr 1962 für das 1991er Remake, und er schrieb eine Originalmusik zu Scorseses „The Age of Innocence“ (1993). Zur Renaissance des Antikfilms konnte er keinen Beitrag mehr leisten. Dafür war es ihm vergönnt, seinen „To Kill a Mockingbird“-Score zu zitieren, wenn ein Film von Kindern handelte wie Joseph Rubens „The Good Son“ (1993) oder Ulu Grosbards „The Deep End of the Ocean“ (1998).

Für seine Hommage an Douglas Sirk, „Far from Heaven“ (2002), engagierte Todd Haynes den Komponisten, der das Melodram der fünfziger Jahre aus erster Hand kannte. Die Drama Queen Joan Crawford liebte und litt zu Bernsteins Klängen in „Sudden Fear“ (1952). Dass er fünfzig Jahre später immer noch Filmmusik schreiben durfte, ist an sich schon eine Sensation. Bernstein erhielt für Haynes’ Sirk-Nachahmung eine letzte Oscar-Nominierung, doch er war nicht mehr naiv genug, um das Genre adäquat zu bedienen. Als Trost bleibt, dass er bis zuletzt beschäftigt und anerkannt war, und dass die Medien auf seinen Tod schnell und einigermaßen ausführlich reagiert haben. Seine Filmografie ist reich an Klassikern. Abschließend seien noch kurz die legendäre Vorspannsequenz zu „Walk on the Wild Side“ (1962) erwähnt sowie ein paar unglaublich sinnliche Takte, mit denen er seinen Kollegen Alex North bei „Cleopatra“ (1963) unterstützte.

 

Frank Noack/SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM