Oskar Werner und Simone Signoret in "Ship of Fools"
 
Stanley KramerErnest Gold

Ein Filmkomponist aus der 1. Klasse

Marc Hairapetian über den legendären 
Filmkomponisten Ernest Gold und dessen 
Kooperation mit Hollywoods größtem 
Independent-Filmemacher Stanley Kramer. 

Ein Porträt von Marc Hairapetian.

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Kastagnetten schlagen aufeinander. Mit dem Einsetzen von Ernest Golds orchestralem Soundtrack beginnt der Vorspann des Films, bei dem sich schwarzweiße Porträtfotos der Darsteller wie Mosaiksteinchen zu einem riesigen Überseedampfer zusammensetzen. Die Besetzungsliste des „Narrenschiffs“ (Originaltitel Ship of Fools) liest sich wie ein „who’s who“ der Schauspielkunst: Europas „crème de la crème“ – Oskar Werner, Simone Signoret, Vivien Leigh und Heinz Rühmann – traf auf die US-Elite Lee Marvin, José Ferrer, Elizabeth Ashley, George Segal und Barbara Luna. Selten haben so viele Stars in einem Film so gut miteinander harmoniert, wie in dieser Adaption des gleichnamigen Jahrhundertromans von Katherine Anne Porter, die der US-amerikanische Regisseur und Produzent Stanley Kramer (29. September 1913 bis 19. Februar 2001) 1964/65 realisierte. Für dessen Fertigstellung brauchte Porter 20 Jahre. Den Titel entlehnte sie Sebastian Brants Allegorie „Stultifera Navis“ (1494), die sie im Sommer 1932, noch erfüllt von den Eindrücken ihrer ersten Überfahrt nach Europa, las. Im August 1941 begann Porter ihren Roman, der schon vor seinem Erscheinen 1962 berühmt geworden war. In epischer Breite schildert sie daran die Fahrt eines deutschen Frachters von Vera Cruz nach Bremerhaven zu Beginn der Nazi-Ära. Während die Passagiere der I. und II. Klasse in ihrer sozialen Gereiztheit durch Gesten der Anmaßung und Voreingenommenheit regelrecht vorgeführt werden, verkörpert die „867 Seelen“ zählende Ansammlung spanischer Zuckerrohrarbeiter mit ihren Familien, welche die Regierung Kubas „nach den großen Tagen des kubanischen Zuckers“ abgeschoben hat, eine anonyme Majorität des Elends.

Porter über ihr Buch: „Es sind keineswegs nur die anderen, die die Narren abgeben! Mangel an Verständnis und Isolierung sind die natürlichen Lebensbedingungen des Menschen. Wir begegnen einander nur an diesen fest abgesteckten Fronten: Wir sind alle Passagiere auf diesem Schiff, doch wenn es ankommt, ist jeder allein.“ Mit Ausnahme des herzkranken Schiffsarztes Dr. Wilhelm Schumann (im Roman 20 Jahre älter als im Film), der der drogensüchtigen Aristokratin La Condesa helfen will, erscheint im Buch kaum eine Figur sympathisch oder gar liebenswert. Stanley Kramers Ansatz ist ein anderer; er ist vielfältiger und zugleich ausgewogener: er zeigt glänzend charakterisierte Typen des Mittelstandes mit negativen, aber auch positiven Eigenschaften. Narren sind sie im Prinzip alle. Zum Beispiel der in die Jahre gekommene Vamp Mary Treadwell (Vivien Leigh in ihrer letzten Filmrolle, die ihr wie auf den Leib geschrieben scheint). Sie wehrt sich gegen das Schicksal an der Seite eines bezahlten Gigolos zu enden, lässt sich aber vom zweiten Schiffsoffizier (Werner Klemperer, Sohn des Dirigenten Otto Klemperer) den Hof machen. Oder der rüpelhafte texanische Schürzenjäger Bill Tenny (Lee Marvin), der als Baseballspieler niemals einen „abgefälschten Ball an der Außenecke“ treffen konnte und sich deswegen als Versager fühlt. Ein weiterer „Narr“ ist der jüdische Geschäftsmann Julius Löwenthal (Heinz Rühmann in seiner einzigen Hollywood-Rolle), der, obwohl er mit dem antisemitischen Verleger Siegfried Rieber (José Ferrer) die Kabine teilen muss, nicht glauben will, dass „das Land, welches einen Goethe, einen Bach und einen Beethoven hervorgebracht hat“, etwas gegen Juden unternehmen werde („Was sollen sie denn mit uns machen? Die können uns ja nicht alle umbringen!“).

Alle schauspielerischen Leistungen in Ship of Fools sind brillant, dennoch werden sie noch überragt von Oskar Werner in der Rolle des charmanten, nach wahren Werten suchenden Bordarztes Dr. Schuman und Simone Signoret als mal „bittere, dann wieder sanft wie ein Kind“ agierende La Condesa. Die zwischen den beiden aufkeimende, fast schon als unschuldig zu bezeichnende große Liebe kommt jedoch zu spät. La Condesa muss auf den Kanarischen Inseln ins Exil, weil sie einst aufständische Arbeiter in ihrem Haus aufnahm, und Dr. Schumann entscheidet sich, bei seiner Familie zu bleiben, von der er sich längst entfremdet hat. Er, der das Narrentum zusammen mit dem kleinwüchsigen Passagier Karl Glocken (Michael Dunn) von Anfang an durchschaut hat, macht sich schwere Selbstvorwürfe, beginnt zu trinken (was ihm aufgrund seines schwachen Herzens eigentlich verboten ist) und erliegt einem Infarkt. Die Sterbeszene Oskar Werners, dessen wirklicher Tod tragischerweise 1984 ähnlich verlief, ist sicherlich der ergreifendste Moment des Films. Laut Drehbuch sollte er einfach vom Stuhl kippen, doch der grandiose Österreicher spielte in eigener Regie einen Herzanfall mit all seinen Symptomen so überzeugend, dass, nachdem er mehrmals nach Luft ringend zusammengebrochen war, nicht nur dem Kameramann Ernest Laszlo, sondern dem gesamten Stab einschließlich der anwesenden Darsteller der Atem stockte. Nicht nur für Marlon Brando vollbrachte Oskar Werner als Dr. Schumann die „größte schauspielerische Leistung der Filmgeschichte“. Für den „Unbestechlichen“ (er lehnte über 300 lukrative Filmangebote als „Verrat am künstlerischen Geschmack“ ab) war dies die absolute Krönung seiner ruhmreichen Karriere: er gewann den New Yorker Kritikerpreis und den französischen Filmpreis, erhielt jeweils eine BAFTA-, Golden-Globe- und Oscar-Nominierung als bester Hauptdarsteller. (Den Globe bekam er übrigens im selben Jahr als bester Nebendarsteller für die Verkörperung des jüdischen Kommunisten Fiedler in Martin Ritts authentisch anmutendem Agenten-Thriller Der Spion, der aus der Kälte kam.) Über die Dreharbeiten zum „Narrenschiff“ äußerte er sich wie folgt: „Stanley Kramer kann etwas ganz Seltenes: Zugleich organisieren und träumen. Vor allem lässt er die Schauspieler sich entwickeln und blühen. Sonst wird beim Film vergewaltigt, Kramer hingegen ist wie ein Gärtner, der die Pflanzen umhegt. Die Signoret und ich hatten die unwirklichsten Rollen der Welt: eine Drogenabhängige und ein Arzt mit einer Herzkrankheit. Die Rolle ist zwar nicht allzu groß, kommt aber meinem Charakter ungemein entgegen. Ich weiß, was Melancholie ist. Oft hat man mich gefragt, wo ich den Herzanfall studiert habe... Ich habe ihn nicht studiert. Ich habe keinen Arzt konsultiert. So habe ich gefühlt, müsste es sein. Das ist dann innere Wahrheit.“ Es spricht für den Filmkomponisten Ernest Gold, dass er diese legendäre Szene nicht musikalisch untermalt hat. Erst nachdem Oskar Werners Dr. Schumann tot auf dem Deck zusammengebrochen ist, erklingt aus der ferne Marschmusik, die in der nächsten Szene um so lauter ertönt: das „Narrenschiff“ ist in Bremerhaven eingelaufen und auf der Gangway kommen dem Zuschauer in einer furiosen Abschiedsszene noch mal alle Stars entgegen. Die so verständnisvolle Olga Fabian, die zu den ältesten Passagieren an Bord gehört hat, wird von ihrem jungen Enkel abgeholt, der ihr das Gepäck abnimmt. Er dreht sich halb zur Kamera und das Lächeln des Betrachters gefriert, da der Mann eine Hakenkreuzbinde am Arm trägt. 

Ship of Fools war insgesamt für acht Oscars nominiert; zwei wurden dem Film schließlich verliehen (für die beste Kamera und die beste Ausstattung). Doch obwohl man Ernest Golds Musik nicht für einen Academy Award nominierte, ist sie ein weiterer „Star“ dieses mit Leinwand- und Theatergrößen nur so gespickten, wohl schönsten aller Schauspieler-Ensemble-Filme. Stanley Kramers Stammkomponist war aufgrund seiner österreichischen Herkunft samt seiner Kenntnis der Wiener Musik prädestiniert für den Soundtrack, der viel von so genannter „source music“ enthielt, welche es ermöglicht, das Image, den Zeitgeist und die historische Komponente in den Film zu übertragen. Diese im Hintergrund erschallende Musik, die vom Bordorchester zum Tanztee gespielt wird, enthält unzählige Strauß-Walzer oder Operetten-Melodien im Stile Lehárs, die fließend in Golds Score eingearbeitet sind.

Wie der Film, der sogar in den Ländern des „real existierenden Sozialismus“ ein großer Erfolg war, genießt auch seine Musik längst Kultstatus. Die Anfang des Jahrtausends erschienene Artemis-CD (ART-F 002), die praktisch identisch mit der RCA-Victor-Schallplattenaufnahme (LSC-2817) von 1965 ist, war schnell vergriffen. Eine Neuauflage ist nicht in Sicht. Mit dem Film verhält es sich ähnlich. Seit 1986 ist er nicht mehr im deutschen Fernsehen jenseits des Pay-TV-Bereichs gelaufen, während er in Frankreich und Österreich jedes Jahr zu sehen ist. Da es noch keine deutsche DVD-Veröffentlichung gibt, müssen Cineasten hierzulande auf die englischsprachige Original-DVD zurückgreifen. Dafür geistert ab und an die deutsche Fassung in einer 1990 von einem Oskar-Werner-Fan auf eigene Kosten restaurierten Kopie durch hiesige Programmkinos.
Golds elegante, von Arthur Fiedler ansprechend dirigierte Musik passt perfekt zum Film, ist aber auch ohne diesen ein Hörgenuss. Der charismatische Main-Title Goodbye to Vera Cruz verbreitet mit seinen stakkatoartigen Bläsersätzen rhythmisch vorwärts treibendes spanisch-kubanisches Flair, so dass man zunächst annehmen könnte, es würde sich ausschließlich um eine Vergnügungssfahrt handeln. Allerdings klingt auch das von Geigenspiel dominierte melancholische Ship of Fools (Love Theme) an, das ohne Sentimentalität auskommt. Wie die Tristan-Liebe Oskar Werners zu Simone Signoret geht es unter die Haut. Als er sich später von ihr mit Handkuss und Tränen in den Augen verabschiedet, weil sie ins Exil nach Gibraltar muss, wächst Golds sanfte Musik in der nächsten, hart geschnittenen Szene an der Landungsstelle zu einem gewaltigen Orchesterstreich von wagnerianischem Ausmaß an: La Condesa wird von zwei Militärpolizisten in Empfang genommen.

Golds enormes Wissen im Bereich der Tanz- und Unterhaltungsmusik vermittelt sich dem Hörer in Stücken wie der Ric Rac Polka, welche zwei vernachlässigte, bösartige Kinder einer Flamenco-Tanzgruppe charakterisiert, die die gutmütige Bulldogge eines Schweizer Ehepaars kurzerhand über Bord werfen. Zum Glück kann der Hund gerettet werden. Doch der Preis ist hoch. Der arme Holzschnitzer, der sich für die geschundene Kreatur in die Fluten geworfen hat, kommt dabei um. Wunderbar ist auch der Charleston for an Old Fool, den die angetrunkene Mary Treadwell (Vivien Leigh) mit hoch geschwungenen, immer noch sehr ansehnlichen Beinen als Reminiszenz an die vergangenen „roaring twenties“ unvermittelt und um so mitreißender auf dem schwankenden Weg in ihre Kabine tanzt. In den von Gold komponierten Schlagern Heute Abend gehen wir bummeln auf der Reeperbahn und Irgendwie, irgendwo, irgendwann (aus der Vor-Nena-Zeit...!) gibt der sprachbegabte Charaktermime José Ferrer im besten Deutsch markige Gesangsproben. Eine noch größere Rarität ist die französische Soundtrack-EP La Nef des Fous (RCA Victor 86.469). Umhüllt von einem stimmungsvollen Schwarzweiß-Cover sind vier Stücke zu hören – neben dem Main Title und dem Liebesthema auch das Lied Irgendwie, irgendwo, irgendwann und der erotische Tango tudesco. Gold vertonte dieses meisterhafte Kaleidoskop menschlicher Laster und Leidenschaften, Irrungen und Wirrungen vor dem Wetterleuchten des Zweiten Weltkriegs in kongenialer Manier. Sollte irgendwann die Menschheit nicht mehr existieren und Außerirdische würden nach deren Relikten suchen, würde dieser Film genügen, um ihnen ein ziemlich exakt beobachtetes Bild unserer Spezies zu vermitteln. Und die Musik mit ihrer im Wortsinn europäischen Qualität könnte den Soundtrack dazu liefern.

Stanley Kramer, fasste in all seinen Filmen immer gesellschaftspolitisch „heiße Eisen“ an, ob „nur“ als Produzent (High Noon, The Caine Mutiny, A Child is Waiting) oder Regisseur oder als produzierender Regisseur (The Defiant Ones, Inherit the Wind, Judgment at Nuremberg). Er war der wohl größte unabhängige Hollywood-Filmemacher, der Talente entdeckte (wie Marlon Brando in Die Männer und Der Wilde) und förderte (Maximilian Schell brachte es in Judgment at Nuremberg gar zum Oscar als bester Hauptdarsteller) oder Stars gegen den Strich besetzte (so Tanz-Legende Fred Astaire in dem Endzeit-Szenario On the Beach). Als Regie-Produzent mit ethischem Anliegen genoss er sogar zu Zeiten des Kalten Krieges hohes Ansehen im Ostblock. Er setzte auf einen festen Mitgliederstab und sah sich vermehrt in Europa nach Schauspielern um. So wollte er unbedingt Oskar Werner, den er als Hamlet auf der Bühne gesehen hatte, für den Part des Dr. Schumann – und eben nicht seinen bisherigen Lieblingsschauspieler Spencer Tracy, der nach einem Setbesuch wiederum Oskar Werner als „größten Schauspieler überhaupt“ anerkannte. Europäische Qualität besaß für Kramer auch Ernest Gold, der ihm vom Komponisten George Antheil empfohlen wurde. Gold orchestrierte und dirigierte für Antheil die ebenfalls südländische Folklore enthaltende Musik zum Historien-Melodram The Pride and the Passion (Stolz und Leidenschaft, 1957), in dem Frank Sinatra einen spanischen Freiheitskämpfer verkörpert und Cary Grant und Sophia Loren auch im wirklichen Leben am Set eine Affäre miteinander hatten. Antheil vermittelte Gold an Stanley Kramer, als dieser in The Defiant Ones (Flucht in Ketten, 1958) einige Minuten Rock’n’Roll-Musik benötigte. Seine europäischen Wurzeln konnte Gold, der am 13. Juli 1921 in Wien als Ernst Goldner geboren wurde und 1938 in die USA emigrierte, erst beim nächsten Kramer-Film einbringen. Und dieser spielte ausgerechnet in Australien! 

On the Beach (Das letze Ufer, 1959) entstand nach der gleichnamigen „after the bomb story“ von Nevil Shute. Die Ausgangssituation der einzigen Überlebenden der menschlichen Zivilisation nach dem Dritten Weltkrieg auf dem Fünften Kontinent ist verheerend. Durch die sich immer weiter ausbreitende radioaktive Wolke bleibt ihnen nur der Massen-Selbstmord... Trotz des brisanten Themas und erstklassiger Schauspieler wie Gregory Peck, Ava Gardner und dem jungen Anthony Perkins erreicht die künstlerische Umsetzung nicht ganz das hohe Niveau von Ship of Fools. Dennoch ist auch hier Golds Musik erstklassig. Eine zu umschiffende Klippe des Auftrags war die Forderung Kramers, das eingängige und weit über seine australische Heimat hinaus bekannte Volkslied „Waltzing Mathilda“ fortwährend in der Partitur zu verwenden. Darüber war Gold zunächst verärgert. Doch da der Film wichtig für seine weitere Karriere war, entschloss er sich nachzugeben. Er arbeitete die musikalische Substanz aus dem Stück heraus und gestaltete es in Form eines ausgeklügelten Variationssatzes, in den er auch eigene Themen einwob. „Es wurde eine große Herausforderung für mich.“, sagte er 1981 dem österreichischen Musiker und Kritiker Hans Martin. „Ich war ein besserer Komponist, als ich den Job beendet hatte.“ Der Lohn war seine erste Oscar-Nominierung und der Gewinn des Golden Globes. 2002 erschien bei FSM eine CD-Einspielung, die auf die Bänder des alten Stereo-LP-Schnitts zurückgreift. Der Klang ist beachtlich. Als Bonus gibt es eine weitere oscarnominierte Filmmusik Golds: The Secret of Santa Vittoria (Das Geheimnis von Santa Vittoria). In selbigem Film wollte Oskar Werner trotz dreifacher Gagenerhöhung keinen „guten Nazi“ spielen – seine arithmetische Gleichung: „Wenn jemand gut ist und ein Nazi, dann ist er nicht intelligent. Wenn jemand intelligent ist und ein Nazi, dann ist er nicht gut. Und wenn jemand gut und intelligent ist, kann er kein Nazi sein.“ Den Part übernahm dann Hardy Krüger. Dieser wird in der köstlichen Hanswurstiade von der Bevölkerung eines Bergstädtchens listenreich an der Nase herumgeführt, damit ihm und seinen auf dem Rückzug befindlichen Truppen nicht die umfangreichen Weinvorräte in die Hände fallen. Der amüsante Soundtrack ist von gelegentlichem Mickey Mousing geprägt. Teutonische Marschparodien wechseln sich mit Wiener Musik und einem bitter-süßen Liebesthema ab. Der erneute Beweis dafür - nach It’s a Mad, Mad, Mad, Mad World (Eine total, total verrückte Welt, 1963) -, dass Gold auch mit Komödienstoffen vortrefflich umzugehen verstand.

Für die Verfilmung des so genannten „Darwin-Prozesses“ in Inherit the Wind (Wer den Wind sät, 1960), bei der sich Spencer Tracy als atheistischer Anwalt und Fredric March als bigotter ehemaliger Präsidentschaftskandidat ein unvergessenes Schauspieler-Duell liefern, kreierte Gold in der Anfangssequenz eine High Noon-artige Spannungsmusik. Ferner erklingen übertrieben vorgetragene christliche Chöre der religiösen Fanatiker. Beim nächsten Kramer-Film war der Komponist wieder ganz in seinem Element, was seine deutschsprachigen Wurzeln betrifft. Im bis heute unübertroffenen Gerichtsdrama über die Nazi-Verbrechen Urteil von Nürnberg, in dem wie später bei Ship of Fools darstellerisch die Besten der Besten (Spencer Tracy, Maximilian Schell, Burt Lancaster, Montgomery Clift, Judy Garland, Richard Widmark und Marlene Dietrich) zusammenkamen, schöpfte er aus dem Fundus deutschen Liedguts. In der genial provokativen Ouvertüre, lässt er nach einer mittelalterlichen Fanfare hintereinander ein Volkslied („Oh, du schöner Westerwald!“), einen von den Nazis vereinnahmten Militärmarsch („Wenn wir marschieren“) und ein Anti-Kriegslied („Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren“) erklingen. Dazwischen lassen einen Pauken und Trompeten kaum Luft holen. Am Ende des Vorspanns wird mit einem Tusch ein Hakenkreuz-Emblem in die Luft gesprengt. Ein musikalischer Kontrapunkt zu den Bildern – eine Vorgehensweise, die später in Stanley Kubricks Filmen häufig Verwendung finden sollte. Dieser arbeitete allerdings nie mit Gold, das überließ er ausschließlich dem anderen Stanley... Die United-Artists-LP von 1961 (UAL 4095), die 1998 von Rykodisk (RCD 10723) als CD auf den Markt gebracht wurde, zeigt Golds große Palette unterschiedlicher Stile, die dennoch ein harmonisches Ganzes ergeben: sphärische Orchesterklänge in Ghostly Ruins und The Sights and Sounds of Nuremberg, die die Schrecken der Nazi-Herrschaft heraufbeschwören, stehen im Kontrast zu den gefühligen Schlagern Liebeslied und Du, Du, die das andere Deutschland zeigen. Zwei lange Monologe sind auch auf dem Soundtrack vertreten: Burt Lancasters späte, aber dafür um so schonungslosere Selbstanklage als ehemaliger Nazi-Richter Dr. Ernst Janning und die Schlussworte des weisen Richters Dan Haywood, der eindringlich von Spencer Tracy verkörpert wird: „This is what we stand for: Truth, justice and the value of a single human being.“ Das für elf Oscars nominierte Meisterwerk konnte schließlich zwei der begehrten Trophäen erringen (Abby Mann erhielt den Academy Award für das beste Drehbuch, Maximilian Schell bekam den Academy Award als bester Hauptdarsteller für seine Rolle des deutschen Strafverteidigers Hans Rolfe). Die Weltpremiere fand in Anwesenheit von Bürgermeister Willy Brandt, Regisseur Kramer und einem Großteil der Stars (Tracy, Clift) in Berlin statt. Wie reaktionär damals die deutsche Boulevardpresse noch war, veranschaulicht eine heute unfassbare Schlagzeile: „Der Jude Kramer kehrt heim und zeigt uns Deutschland!“, was den Regisseur und Produzenten zu der Aussage veranlasste: „In Deutschland kann ich mit meinen Filmen keinen Blumentopf gewinnen.“ Zumindest konnte er längst Verdrängtes wieder ins öffentliche Bewusstsein zurückrufen – und das in äußerst fairer Manier, indem er das deutsche Volk keineswegs kollektiv verurteilte. Gerade deshalb war auch Ernest Gold die Arbeit an diesem Film – genauso wie kurze Zeit darauf bei Ship of Fools – so wichtig. Als jüdischstämmiger Wiener liebte er Österreich und die deutsche Sprache. 

Golds Biografie hat ihre Ursprünge in der „Welt von gestern“, wie der Schriftsteller Stefan Zweig wehmütig den Zusammenbruch der k. und k. Donaumonarchie in einem seiner bekanntesten Werke betitelte. Seine Familie war äußerst musikalisch. Der Großvater war Schüler Anton Bruckners. Später avancierte er zum Präsidenten der noch von Johannes Brahms gegründeten „Gesellschaft für Musikfreunde“. Sein Vater hatte bei einem der letzten Sprosse der Wiener-Walzer- und Operettendynastie, Richard Heuberger, studiert. Der kleine Ernst Goldner galt wie auch der Komponist Erich Wolfgang Korngold als eine Art „Wunderkind“: Mit sechs Jahren spielte er virtuos Violine, zwei Jahre später betörte er das Publikum mit seinem Klavierspiel. Anstatt zu üben, stahl er sich allerdings als Gymnasiast häufig ins Kino. Gold studierte dann in seiner Geburtsstadt an der Musikakademie Klavier und allgemeine Musiklehre. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Nazireich emigrierte er 1938 nach New York und nannte sich fortan Ernest Gold. Er verdingte sich als Klavierbegleiter im „Little Red Schoolhouse“ und setzte seine musikalischen Studien auf privater Ebene fort. So nahm er bei Otto Cesana Unterricht in Harmonielehre und Tanzarrangement. Leon Barzin lehrte ihn das Dirigieren. Mit dem Komponieren von Schlagern gelang es ihm, sich finanziell über Wasser zu halten. Einige seiner Titel erreichten sogar hohe Notierungen in den amerikanischen Hitparaden. Seine Versuche, sich als „seriöser“ Komponist zu etablieren, schlugen jedoch zunächst fehl. Der im Grunde bezaubernden „Pan American Symphony“ war genauso wenig Erfolg beschieden, wie seinem 1943 entstandenen Klavierkonzert, das Kritiker als „Filmmusik“ abqualifizierten. Damals genossen vor allem in den USA Filmkomponisten noch nicht die Wertschätzung, die sie heute erfahren. Gold war berechtigterweise verärgert und dachte sich: „Warum nicht den Stier bei den Hörnern packen? Ich spielte dem Chef des Columbia Music Departments mein Klavierkonzert vor – und bekam nun tatsächlich Aufträge von Hollywood-Produzenten zur Vertonung ihrer Filme!“ Zu Mel Ferrers erster Regiearbeit, The Girl on the Limberlost (1945), lieferte er seinen ersten eigenständigen Soundtrack ab. Bis 1958 musste er sich vorderrangig mit Komposition, Orchestrierung und Arrangements von B-Movies begnügen. Der Wendepunkt kam durch die Begegnung mit dem Komponisten-Enfant-Terrible George Antheil, der avantgardistische Konzerte ebenso schuf wie eingängige Kinomelodien. Nach dessen viel zu frühem Tod war Gold Stanley Kramers Mann in puncto Filmmusik. 

Kramer liebte Musik, verstand aber nach eigenen Angaben nicht viel davon. Nach anfänglichen Auseinandersetzungen vertraute er Gold blind – und dieser „revanchierte“ sich, indem er Kompositionen schuf, in denen GOLDene Melodien und hohes Niveau eine Allianz miteinander eingingen. Zahlreichen Soundtrack-Liebhabern gilt seine Partitur zu der fast dreistündigen Marathonkomödie It’s a Mad, Mad, Mad, Mad World (Eine total, total verrückte Welt, 1963) als Meilenstein in der Geschichte der Filmmusik. Die rasante Ouvertüre und das furiose Finale suchen ihresgleichen im Bereich des Lustspiels. Der Titel Gullible Otto Meyer ist ein charmanter Ausflug in die Ragtime-Ära. Gold erhielt für sein Bravourstück zwei Oscar-Nominierungen: eine für den besten Titelsong, die andere für den besten kompletten Soundtrack. Auf dem CD-Release von Rykodisk (RCD 10704) gibt es als Bonus Interviewauszüge mit ihm und Stanley Kramer.

Der humanistisch und pazifistisch stark engagierte Komponist begnügte sich allerdings nicht nur mit schmissigen Orchester-Songs, auch sperrige Klänge reizten ihn, wie in Kramers Produktion A Child is Waiting (Ein Kind wartet, 1963), bei der der Schauspieler John Cassavetes einfühlsam Regie führte. Das Schicksal geistig behinderter Jungen und Mädchen in einem Heim veranlasste ihn, einfache Melodien in leicht verzerrt klingende Arrangements zu hüllen. Kramers satirisches Melodram Guess Who’s Coming to Dinner? (Rat mal, wer zum Essen kommt?, 1967) musste aus rein kommerziellen Gründen auf Golds Score verzichten. Der Film, der sich seinerzeit recht mutig für die immer noch verpönte Mischehe zwischen schwarzen und weißen Partnern stark machte, zeigte zwar Sidney Poitier, Katherine Hepburn und einen trotz tödlicher Krankheit glänzend aufgelegten Spencer Tracy, war musikalisch allerdings von Frank DeVol mit allzu viel Zuckerguss überschüttet. Die vorerst letzte Kooperation der beiden Freunde Kramer und Gold war Das Geheimnis von Santa Vittoria, für die Gold nochmals eine Oscar-Nominierung erhielt. Gegenüber der zunehmenden „Verrohung und Gewaltverherrlichung“ im internationalen Kino der 1970er Jahre war Gold sehr kritisch eingestellt, vor allem nach den Erfahrungen, die er mit Sam Peckinpahs extrem brutalem Wehrmachtsspektakel Cross of Iron (Steiner – Das Eiserne Kreuz 1, 1977) gemacht hatte. So stand er für die Fortsetzung nicht mehr zur Verfügung und Peter Thomas musste einspringen. Golds Score ist dem von Thomas allerdings überlegen, weil er wieder geschickt Kontrapunkte setzte. So erklingt im Vorspann das harmlose Kinderlied „Hänschen klein“. Was für ein musikalischer Auftakt für eine visuelle Tour de Force! 1979 kamen Gold und Kramer doch noch einmal zusammen, und zwar für Kramers letzten Film The Runner Stumbles. Nach Safari 3000 (1982) arbeitete Gold dann nur noch fürs Fernsehen, so für Alfred Hitchcock presents (1985) und Gore Vidal’s Lincoln (1988). Gold, der ein Familienmensch war und mit seiner ersten Frau Marni Dixon die Kinder Andrew, Martha und Melani sowie mit seiner zweiten Gattin Jan Keller Gold den Adoptivsohn Robert Light, Jr. hatte, starb am 17. März 1999 im Alter von 77 Jahren in Santa Monica an den Folgen eines Schlaganfalls.

Seine berühmteste Musik ist – bei allen Verdiensten um das filmische Werk Stanley Kramers – der Score zu Otto Premingers Exodus (1960). Das Drama über den israelisch-arabischen Konflikt, in dem Paul Newman, Jill Haworth, Sal Mineo, Ralph Richardson und Eva Marie Saint mitwirkten, hat Längen, so dass bei der Premiere ein jüdischer Zuschauer rief: „Otto, let my people go!“. Unbestritten fantastisch aber ist die ergreifende, jedoch niemals kitschige Musik Ernest Golds. Zum zehnten Todestag des Komponisten erscheint bei Tadlow Music (TADLOW007) am 9. September der 2 CDs umfassende Soundtrack unter dem Dirigat von Nic Raine, der wieder einmal das ambitionierte City of Prague Philharmonic Orchestra leitet. Die für den Soundtrack eminent wichtige Solovioline wird von Lucie Svehlova gespielt. Solocellist ist Pavel Belousek. Nachdem die CD-Compiliation „Ernest Gold Film Music Vol.1“ von Artemis (ART-F 001) aus dem Jahr 2000 längst vergriffen ist, kann man die Nic-Raine-Einspielung nur als begrüßenswert bezeichnen – zumal auch noch Auszüge aus Ship of Fools enthalten sein werden! Als zusätzliche Stücke sind weitere Filmmusiken zum Thema Völkermord an den Juden und weiterhin der israelische Staatsgründung geplant, so John Williams’ Schindler’s List (Schindlers Liste, 1993) und Elmer Bernsteins Cast a Giant Shadow (Der Schatten des Giganten, 1966). Ein Freund von mir meinte nach dem Hören des Exodus-Main-Titles von Ernest Gold: „Diese Musik kommt von keinem Komponisten, sondern direkt von Gott!“ Ein schöneres Kompliment kann man einem Filmkomponisten wohl nicht machen.

Marc Hairapetian 

Marc Hairapetian für SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de