Ein Armenier in Paris
Zum Tode des franco-armenischen Regisseurs und Prodruzenten Henri Verneuil
Von Marc Hairapetian
Ein Armenier in Paris
Zum Tode des franco-armenischen Regisseurs und Prodruzenten Henri Verneuil
Von Marc Hairapetian
Er ist ein Mann der Tat, der nichts so sehr hasst wie das Warten. Dem wegen
Polizistenmordes verurteilten Roger Sartet (Alain Deloin) ist zwar dank der
Hilfe von Vittorio Manalese (Jean Gabin) die Flucht bei einem Gefangenentransport
geglückt, aber auf dem sizilianischen Landsitz des Mafia-Patriarchen
wird es ihm schnell langweilig. Zu schleppend geht die Vorbereitung eines
großangelegten Juwelenraubs vonstatten. So schlägt er beim Angel
nicht nur die Zeit, sondern auch einen Aal tot. Davon erregt wirft ihm die
sich am Strand nackt räkelnde Schwiegertochter Manaleses (Irina Demick)
vielsagende Blicke zu. Sartet verliert die Beherrschung und stürzt sich
hinter einem Stein wie ein Raubtier auf die rothaarige Schönheit. Wohl
kaum ein Regisseur hat die Verbindung von Gewalt und Leidenschaft, Eros und
Schmerz mit so lässiger Eleganz heraufbeschworen wie Henri Verneuil 1969
in „Der Clan der Sizilianer“. Der Auftakt der sexuellen Revolution
im populären französischen Film markierte zugleich einen Höhepunkt
des europäischen Gangsterfilms..
Auch Henri Verneuil, der einen Kinokassenhit nach dem anderen produzierte,
war ein Mann der Tat. Nie konnte er es lange auf einem Fleck aushalten - erst
recht nicht auf dem Regiestuhl. Ständig in Bewegung war er zwangsläufig
schon als Kind: Geboren 1920 in Adosto als Achod Malakian mußte er als
Vierjähriger mit seiner armenischen Familie vor den Türken fliehen,
die bereits die Hälfte seines Volkes im ersten Genozid des 20. Jahrhunderts
ermordet hatten. Der Armenier in Paris wechselte den Namen, ohne seine Herkunft
zu verleugnen, und kam über die Umwege eines Ingenieurstudiums und der
Tätigkeit als Zeitungs- und Radiojournalist 1948 zum Film. Man kann vieles
über Henri Verneuils Filme schreiben - langweilig ist keiner. Hochgebildet
verabscheute er jede Form von Intellektualismus. Er setze vielmehr auf Stars,
Action - und Sozialkritik. Bei aller Kommerzialität zeichnete Verneuil
doch oftmals atmospärisch dichte Großstadtporträts, in der
Anonymität, Arbeitslosigkeit und die Ausbeutung von Gastarbeitern zum
täglichen Leben gehören.
Nach komödiantischen Anfängen, in denen er jenseits allen Klamauks
in sechs Filmen das psychologische Potential Fernandels freilegte, spezialisierte
er sich auf Krimis. Auch hinter der Kamera versammelte Verneuil stets ein
erlesenes Team um sich herum: Zu ihnen gehörte an erster Stelle Ennio
Morricone. Der Regisseur und Drehbuchautor ließ dem Komponisten meist
freie Hand und der bedankte sich auf seine Art mit unverwechselbaren Soundtracks,
in der sich E-Gitarren, Maultrommeln (!), Synthesizer und süffige Streichersätze
hochkarätige Duelle lieferten - vom „Clan der Sizilianer“
über „Angst in der Stadt“ (1974) bis zu „I wie Ikarus“
(1979). Letztgenannter Politthriller ist sicherlich Verneuils beste Arbeit,
die in puncto Brisanz und stilistischem Können Costa-Gavras „Z“
in nichts nachsteht: Parallelen zum Kennedy-Mord sind dabei unübersehbar.
Verneuil, dessen Vorbild immer „Hollywood“ und nie „Nouvelle
Vague“ hieß, arbeitete auch für die Traumfabrik: Sein bevorzugter
Star hieß hier Anthoy Quinn. In den letzten zwei Jahrzehnten verlegte
sich Verneuil in seiner luxuriösen Villa in Genf wieder mehr aufs Schreiben.
Der Hymnus auf seine Mutter „Mayrig“ wurde ein internationaler
Bestseller - und drei Jahre darauf ein spätes cineastisches Meisterwerk,
dessen Anfangssequenz einen in der Geschichte der Justiz wohl einmaligen Prozeß
thematisiert: Der armenischen Student Soromon Tehlerjan erschoß aus
Verzweiflung über die Ausrottung seiner gesamten Familie auf der Berliner
Hardenbergstraße am 15. März 1921 den ehemaligen türkischen
Großwesir Talaat Pasha, einen der Hauptverantwortlichen der Massaker:
Die Rollen von Täter und Opfer vertauschten sich in der Gerichtsverhandlung.
Man sprach Tehlerjan frei. Der Völkermord an den Armeniern gelangte dadurch
erst ans Licht der deutschen Öffentlichkeit. Trotz prominenter Besetzung
gelangte „Mayrig“ nie in die deutschen Kinos. Als Zweiteiler wurde
er lediglich im Fernsehen ausgestrahlt. Am 11. Januar erlag Henri Verneuil
81jährig in einem Pariser Krankennhaus einen Herzleiden.