There you go

Zum Tod von Johnny Cash

von Nico Walser am 13.09.03

 

Das Erste, an das ich mich in meiner Kindheit überhaupt erinnern kann ist sein brüchiger Bariton in „I walk the line“.
Seitdem ist Johnny Cash ein musikalischer, fast väterlicher Begleiter, stetig, auch wenn ich ihn in den 80ern aus den Augen verlor, um ihn im folgenden Jahrzehnt mit seinem ingeniösen ersten American Recordings Album wieder mehr denn je ins Herz zu schließen. Das Album American Rec. 3 „Solitary Man“ gehört zu meinen 25 Lieblingsalben aller Zeiten.
Cry, Cry, Cry - Ich habe geweint, als ich am gestrigen Todestag das Video „Hurt“ sah. Nicht nur weil dieses Vermächtnis leider erst jetzt in Deutschland wahrgenommen wird, sondern weil Cash in seinem letzten Clip und dem desillusionierten Songtext alles vereinigt, was die Vielschichtigkeit seines streitbaren Charakters ausmachte.
Da findet sich die Geste des Outlaws, des abseits der befahrenen Country Bahnen singenden Desperados. Man schaue sich allein die Song-Auswahl in der American Recordings CD-Reihe an, wobei hier Produzent Rick Rubin maßgeblichen Anteil hatte.
„Hurt“ von Trent Reznor (Nine Inch Nails) verfasst, knüpft an die in den 50er Jahren mit „Folsom Prison Blues“ begonnene Cash-Tradition der stoischen Beschreibung von Lebensschicksalen an. Ohne Larmoyanz und mit dem Bewußtsein der Sinnlosigkeit des Daseins resümiert hier einer seinen Weg.
Und dann gab es da den religiösen Cash, auf der Suche nach Erlösung. Gospel-singend und Folk-Songs neues Leben einhauchend wie im feierlich-erhabenden „Danny Boy“ mit Kirchenorgel Begleitung.
Schließlich das House of Cash - der familienbewusste, leidenschaftliche Johnny, den mit seiner im Mai verstorbenen Frau June Carter eine über 35 Jahre dauernde enge Liebes- und Berufsbeziehung verband nebst seinen singenden Kindern.
Im „Hurt“ Video sieht man dazu noch museales aus der fünf Jahrzehnte überdauernden Karriere. Cash veröffentlichte zwischendurch durchaus manierierte Platten, zimmerte an einem Country & Western Bardenimage, welches die Grenze zum wertkonservativen Trucker Liedgut und zu verquaster Cowboy Romantik streifte.
Diese ungeschminkt gezeigte Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit machte den Cash eben zum einmaligen Cash.
Und am Ende das von Alter und Krankheit gezeichnete Furchengesicht, das herzzerreissend anzusehende Händezittern aufgrund des Shy Drager Symptoms (ähnelt der Parkinson Krankheit).
Zum Heulen. Zum Feiern. Zum Mitsummen. Zum Verneigen.
Zum Gedenken.

www.nicowalser.de

Franz Dobler verfasste ein überaus lesenswertes Buch zu Johnny Cash und dessen seltsamer Country-Welt, es heißt „the beast in me“. www.franzdobler.de