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Beasts of the Southern Wild: Benh Zeitlin, Quvenzhané Wallis, Dwight Henry - www.collider.com

"Kinder verstehen die Welt besser als Erwachsene"

Interview mit Regisseur, Drehbuchautor und Komponist Benh Zeitlin zu seinem fulminanten Debütfilm "Beasts of the Southern Wild" (deutscher Kinostart 20. Dezember 2012)

von Marc Hairapetian

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Größere Ansicht anzeigen Benh Zeitlin gilt als das neue Regie-Wunderkind der USA. Der am 14. Oktober 1982 in Queens, New York geborene Sohn eines brasilianisch-amerikanischen Volkskundler-Pärchens wurde nach dem Kurzfilm "Glory at the Sea" (2008), der das Schicksal von Überlebenden des Sturm Katrina schildert, mit seinem ersten abendfüllenden Film schlagartig bekannt: In "Beasts of the Southern Wild" wächst ein kleines afroamerikanisches Mädchen namens Hushpuppy Doucet (dargestellt von Quvenzhané Wallis) im Sumpfland Louisianas auf. Als ein schwerer Sturm ihre Heimat verwüstet, wird zu allem Unglück auch noch ihr allein erziehender Vater (Dwight Henry) schwer krank. Tapfer stemmt sich die fantasievolle Sechsjährige gegen das Schicksal, wobei sie die Ankunft von vor Urzeiten eingefrorenen Auerochsen erahnt, die durch das Schmelzen der Polarkappen freigegeben werden. Das zugleich neorealistisch und surreal inszenierte Meisterwerk spielte allein in den USA das Sechsfache seines Herstellungsbudgets ein und erhielt 2012 zahlreiche Preise, darunter den Großen Preis der Jury bei Robert Redfords Sundance Film Festival und den Publikumspreis des Fantasy Filmfests in Berlin. Ein exklusives Gespräch über Kindheit im Film, das Künstlerkollektiv Court 13 und Kapitalismus in Hollywood.

Marc Hairapetian: Die Entstehungsgeschichte Ihres von der internationalen Kritik gelobten Fantasy-Dramas "Beasts of the Southern Wild" ist lang. Ihr Künstlerkollektiv Court 13, mit dem Sie den Film realisierten, hatte lange Zeit kein Geld. Erst als Cinereach mit dem deutschen Ausführenden Produzenten Philipp Engelhorn dazukam, gab es eine Art Subventionierung, was in den USA äußerst selten ist. Haben Sie jemals die Hoffnung verloren, den Film in der Weise fertig stellen zu können, wie wir ihn jetzt auf der großen Leinwand sehen?

Benh Zeitlin: Es war in der Tat ein langer Prozess, der sich über fast drei Jahre hinstreckte. Wir hatten zunächst überhaupt kein Geld, unsere Darsteller waren allesamt Laien und es gab so viele Schwierigkeiten, die aufzuzählen ein Buch füllen würde. Doch aufgeben ist nicht meine Mentalität. Meine Mentalität ist vielmehr: Ich mache den Film in jedem Fall, ob ich Geld habe oder nicht. Deswegen habe ich die Hoffnung nie aufgegeben, aber mit weniger Geld, hätte er wohl anders ausgesehen. Cinereach hilft Filme subventionieren zu lassen, was, wie Sie richtig sagen, in den USA ganz selten ist. In unserem Fall stiegen Sie aber als richtige Produzenten ein und konnten so ein Budget von etwas unter 2 Millionen Dollar beschaffen. Das klingt nicht viel, unterstützte aber unsere Kreativität enorm.

Marc Hairapetian: Für Ihr neues Filmvorhaben soll Cinereach inzwischen eine Nummer zu klein sein. Wollen Sie Ihren Independent-Status aufgeben und nun kommerzielle Hollywood-Filme machen?

Benh Zeitlin: Mitnichten! Mein neuer Film, über den ich inhaltlich noch nichts sagen will, wird ein höheres Budget haben, aber es bleibt noch immer ein Independent-Film, der mit fast identischer Crew und einigen Schauspielern aus "Beasts of the Southern Wild" wieder in Louisiana gedreht werden soll.

Marc Hairapetian: Sie sind bei "Beasts of the Southern Wild" nicht nur Regisseur und Drehbuchautor, sondern auch Co-Komponist. Wie kam es dazu?

Benh Zeitlin Ich fühle mich geschmeichelt, wenn Sie mich als Komponist bezeichnen. Ich habe mich immer viel mit Musik beschäftigt. Ich bin kein technischer Musiker. So brauche ich lange Zeit, um Noten aufzuschreiben, aber Melodien kommen mir schnell in den Sinn. Ich komponiere auf meinem kleinen "Computer-Elektonik-Orchester" oder spiele einfach ein wenig auf der Gitarre. Früher war ich in Bands. Um die Ausarbeitung und die Arrangements kümmert sich heute Dan Rohmer, dem es zu verdanken ist, dass der Schlusstitel jetzt Hymnencharakter hat. Auch mit ihm werde ich bei meinem nächsten Film definitiv wieder zusammen arbeiten.

Marc Hairapetian: Was sind Ihre filmischen Vorbilder?

Benh Zeitlin: In erster Linie Terrence Malick, der beispielsweise 2005 seine realistische Darstellung der Pocahontas-Legende "The New World" in den Sumpfgebieten Virginias mit extrem lichtempfindlichen Kameralinsen ohne künstliche Beleuchtung gedreht hat. In "The Tree of Life" setzte er 2011 bei den Bildern von der Entstehung des Universums kaum auf Computeranimation, sondern herkömmliche Spezialeffekte, die vor allem aus exzellent fotografierten Farbspielereien und chemischen Experimenten bestanden. Das diente mir auch bei "Beasts of the Southern Wild" als Vorbild. Außerdem liebe ich als Regisseure Charlie Chaplin und John Cassavetes, der unheimlich gut mit Schauspielern improvisieren konnte.

Marc Hairapetian: "Beasts of the Southern Wild" basiert auf einem Theaterstück Ihrer Freundin Lucy Alibar. Stimmt es, dass auf der Theaterbühne die vorzeitlichen Auerochsen, die nach der Eisschmelze im südlichen Louisiana aufgetaut und durch die Fantasie ihrer Filmheldin Hushpuppy wiederbelebt werden, von Transsexuellen verkörpert wurden?

Benh Zeitlin: Das war nur ein Scherz meines Ausführenden Produzenten Philipp Engelhorn, der dass bei der Eröffnung des Berliner Around the World Filmfestival erzählte. Es waren keine Transsexuellen, aber sie sahen vielleicht ein wenig so aus, weil die Auerochsen von Menschen in schrillen Kostümen verkörpert wurden. Auf der Theaterbühne mag das lustig sein, doch im Film waren wir darum bemüht, alle surrealen Elemente so realistisch wie möglich darzustellen. Und das wie bei Malick weitgehend ohne Computeranimation. Wir trainierten kostümierte Schweine, filmten sie und vergrößerten sie dann noch etwas in der Slow-Motion-Szene, in der sie Hushpuppy in die Knie zwingt.

Marc Hairapetian: Wie kam es dazu, dass ausgerechnet US-Präsident Barack Obama für Ihr antikapitalistisch anmutendes Drama, bei dem sich die Bewohner der Sumpfgebiete gegen eine Zwangsumsiedlung gegen die Behörden wehren, Werbung machte?

Benh Zeitlin: Nun ja, er ist Demokrat und kein Republikaner. Doch Spaß beiseite: Das müssen Sie ihm selbst fragen. Ich weiß nur, dass er den Film irgendwo gesehen hatte und Talkmasterin Ophra Winfrey empfahl, die uns daraufhin hin in ihre Show einlud. Ganz schön verrückt, aber wahr.

Marc Hairapetian: Ihre mittlerweile neunjährige Hauptdarstellerin Quvenzhané Wallis wählten Sie als Fünfjährige unter mehreren Tausend von Kindern aus. Stehen Sie noch mit ihr in Kontakt?

Benh Zeitlin: Ja, klar. Wir promoten den Film gemeinsam und reisen dabei zusammen. Sie ist wie eine kleine Schwester für mich. Ich möchte wieder mit ihr arbeiten, denn sie ist wirklich meine Lieblingsschauspielerin. Ihre wache Intelligenz und ihr intuitives Spiel sind bemerkenswert.

Marc Hairapetian: Als kleine Hushpuppy will sie ihren kranken Vater in dem durch einen Sturm überfluteten Gebiet namens "Bathtub" beschützen. Warum ist Kindheit in Ihren Filmen so wichtig für Sie?

Benh Zeitlin: Ich liebe Kinder und freue mich, mit ihnen "arbeiten" zu dürfen. Sie verstehen die Welt besser als Erwachsene. Ihr Zugang zu allem ist viel direkter, obwohl sie auch Feingefühl für magische Momente haben. Ich lerne von ihnen und ihrer Sichtweise der Dinge. Hushpuppys Mut hätte ich mir als Kind selbst gewünscht. So verarbeite ich mit diesem Film auch meine Kindheit, die schön und sehr behütet war, obwohl meine als Volkskundler tätigen und Kinderspiele sammelnden Eltern mir auch das Ausleben von "Abenteuern" zugestanden.

Marc Hairapetian: Sie sind Mitglied des Künstlerkollektivs Court 13. Ihr Ausführender Produzent Philipp Engelhorn meinte, dass ich, wenn ich nach New Orleans kommen würde, auch Mitglied werden könnte. Wäre das tatsächlich möglich?

Benh Zeitlin: Selbstverständlich. Court 13 ist eine ständig wachsende Armee von unabhängigen Filmemachern und Kreativen, zu der Sie und andere jederzeit dazu stoßen können. Ich habe beschlossen, immer mit diesem Kollektiv zusammenzuarbeiten Die kapitalistische Vorgehensweise in Hollywood interessiert mich weniger, auch, wenn ich natürlich Geld für die Umsetzung meiner Filme brauche. Doch ich arbeite lieber mit Freunden zusammen, die meinen Enthusiasmus teilen, als Leute aus der "Traumfabrik" zu engagieren. In meinen Filmen gibt es wenig Geld zu verdienen, doch ich beute auch niemanden aus. Bei der Zusammenarbeit für "Beasts of The Southern Wild" habe ich Freunde fürs Leben gefunden und das zählt mehr als der kommerzielle Erfolg. Mit dem Image des Underdogs kann ich gut leben.

Marc Hairapetian: Erhoffen Sie nach dem Preissegen in diesem Jahr auch Oscar-Nominierungen?

Benh Zeitlin: Ich persönlich brauche keinen Oscar, aber es würde den Film und meine weitere Arbeit natürlich sehr unterstützen. Independent-Filme werden allerdings sehr selten von der Academy nominiert.

Marc Hairapetian: Im Presseheft zu "Beasts of the Southern Wild" stand, dass Sie mit einer Schar wilder Tiere zusammenleben. Wahrheit oder Promotion-Gag?

Benh Zeitlin: Wahrheit. Ich habe ein Riesenschwein wie aus dem Film und 40 weitere Haustiere, mit denen ich auf einem großen Gelände in New Orleans lebe. Die animalische Seele ist mir wichtig, denn der Mensch ist nicht die Krönung der Schöpfung. Besuchen Sie mich gerne mit ihrem Sibirischen Wolfshund Husky Mix Felix! Court 13 steht Ihnen und allen Interessierten offen!

Das Gespräch mit Benh Zeitlin führte Marc Hairapetian für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de am 14. Dezember 2012.