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"Da geht die Post ab!"

Interview mit "Winnetou"-Filmkomponist Martin Böttcher zum 90. Geburtstag

Von Marc Hairapetian

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Er gehört er zu den besten und beliebtesten Filmkomponisten hierzulande: Martin Böttcher, geboren am 17. Juni 1927 in Berlin, ist eine lebende Legende. Vor allem die Karl-May-Freunde verehren ihn für seine Soundtracks aus den 1960er- und 1970er-Jahren kultisch. Für das Interview nahm sich der stets bescheiden auftretende Schöpfer viel Zeit. Ein Gespräch mit dem Schöpfer der "Old Shatterhand"-, "Schut"- und "Winnetou"-Melodien nicht nur über Wildwest-Romantik und den neuen "Winnetou"-Fernseh-Dreiteiler, sondern auch über musikalische Anfänge, sein größtes Handycap und den typischen Böttcher-Sound.

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 Marc Hairapetian: Herr Böttcher, Ihre erste Filmmusik schrieben Sie 1955 für die von Arthur-Brauner produzierte Militärsatire "Der Hauptmann und sein Held". Ihr zweiter Soundtrack war der für Georg Tresslers neorealistisches Drama "Die Halbstarken". Hat es Ihnen Spaß gemacht diese mit Jazz-Elementen gespickte Rock-'n'-Roll-Musik zu schreiben?

 Martin Böttcher: Ja, und wie! Das war die Zeit damals als Bill Haley aufkam und wenig später Elvis Presley und Little Richard. Unser James Dean hieß Horst Buchholz! Mit Regisseur Georg Tressler war ich sehr befreundet. Bei "Die Halbstarken" hat die Inter West Film GmbH von Wenzel Lüdecke eigentlich zuerst US-amerikanische Titel für den Soundtrack ausgesucht. Sie wollte eine Menge Geld dafür bezahlen. Ich sagte: "Wenn Sie uns das Geld geben, hole ich mir lieber die besten Musiker aus Europa." Und die hatte ich dann auch.

 Marc Hairapetian: War nicht sogar James Last dabei?

 Martin Böttcher: Ja, "Hansi" Last aus dem NWDR-Bigband-Orchester war am Bass dabei genauso wie Klarinettist Fatty George und der geniale, leider früh verstorbene Trompeter Horst Fischer. Allerdings nur bei der reinen Soundtrack-Aufnahme und nicht bei der späteren Platteneinspielung mit meiner Mr. Martin's Band.

 Marc Hairapetian: "Die Halbstarken"-Musik hat noch nicht den typischen Böttcher-Sound, der schwebend elegant und leicht melancholisch ist. Wie sind Sie zu Ihrem Markenzeichen gekommen?

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 Martin Böttcher: Gute Frage. Das war einfach so ein Empfinden. So musste es sein, fühlte ich.

 Marc Hairapetian: Der Wiener Erwin Halletz, Komponist der Karl-May-Filme "Der Schatz der Azteken" und "Die Pyramide des Sonnengottes", offenbarte mir einmal: "Wir sind alle mehr oder weniger von Ennio Morricone beeinflusst worden". Gilt das auch für Sie?

 Martin Böttcher: Ich habe zwar schon Wildwest-Musiken komponiert, bevor Morricone in Deutschland mit seinen Italo-Western-Musiken bekannt war, aber ich sage immer allen Leuten: Wenn einer nur "Spiel mir das Lied vom Tod" komponiert hätte, bräuchte er nicht mehr zu leisten. Das ist ein Komponist!

 Marc Hairapetian: Unzählige Jungen und Mädchen Ihrer Generation begeisterten sich für Karl May. Auch Sie, der später als Komponist der erfolgreichen Filmreihe aus den 1960er Jahren zu Ruhm gelangen sollte?

 Martin Böttcher: Als Produzent Horst Wendlandt mich 1962 für "Der Schatz im Silbersee" anrief und frohlockte: "Pass auf, wir machen was Neues: Karl May!", entfuhr es mir: "Karl May? Keine Ahnung!" Und als Frank Elstner mich 2004 für die Sendung "Menschen der Woche" interviewte, hatte er vor laufenden Kameras eine Überraschung für mich parat: "Ich habe gehört, du hast noch nie ein Karl-May-Buch gelesen. Hier schenke ich Dir eines." Es war "Winnetou 1".

 Marc Hairapetian: Und haben Sie es gelesen?

 Martin Böttcher: Nein! (lacht herzhaft)

 Marc Hairapetian: Warum kam Ihre "Winnetou-Melodie" erst bei"Winnetou 2. Teil"?

 Martin Böttcher: Irgendwann sagte ich Wendlandt und Reinl: Winnetou muss ebenfalls ein eigenes Thema haben. Selbst der Schut hat eines, das ich für Artur Brauner und Regisseur Robert Siodmak komponiert habe. Und so durfte ich das "Winnetou-Thema" schreiben. Später kam noch eines für "Old Surehand" dazu.

 Marc Hairapetian: Was ist eigentlich Ihre Lieblingsmusik unter den Karl-May-Filmen?

 Martin Böttcher: Prinzipiell ist das sehr schwer, weil die zwei Hauptthemen - "Old Shatterhand-Melodie" und "Winnetou-Melodie" - so große Erfolge waren, aber ich habe auch sehr gerne die Musik von "Winnetou und Shatterhand im Tal der Toten", die sozusagen als wehmütiger Abgesang die Summe all meiner Karl-May-Soundtracks darstellt. Dabei hatte ich für sie genauso wenig Zeit wie für die anderen Filme. Wir Filmkomponisten bekommen immer zu wenig Zeit.

 Marc Hairapetian: Wer war der beste Karl-May-Regisseur mit dem Sie zusammen arbeiteten?

 Martin Böttcher: Mit Harald Reinl war es ein regelrechtes Vergnügen! Wir haben immer alles durchgesprochen, doch am Ende sagte er einfach nur: "Mach' mal schöne Musik!" Ganz im Gegensatz zu anderen; die kamen mit einem Packen Schallplatten und forderten: "So möchte ich das haben!", worauf ich entgegnete "Wissen Sie, was das kostet, was Sie da haben? Das sind Hollywoodaufnahmen!"

 Marc Hairapetian: Gab es überhaupt einmal genug Geld für den Komponisten, der wie Pierre Brice sagte, zu 50 Prozent den Erfolg der Karl-May-Filmreihe ausgemacht hätte?

 Martin Böttcher: Ja, in den 1970er-Jahren für die TV-Serie "Kara Ben Nemi Effendi", die Regisseur und Drehbuchautor Günter Gräwert mit viel Sorgfalt inszenierte. Während ich mit der Stoppuhr in der Hand im Studio die Länge der musikalischen Takes festlegte, hat er wirklich viel Geld für den Soundtrack aus dem Hut gezaubert. Da war ich natürlich motiviert. Das "Kara Ben Nemsi"-Thema ist sogar als Single herausgekommen. Karl-Michael Vogler war vielleicht der beste Schauspieler, der je in einem Karl-May-Film mitwirkte. Ein feiner, netter Mann, männlich und edel.

 Marc Hairapetian: Gibt es etwas, dass Sie lieber nicht gemacht hätten?

 Martin Böttcher: Ja, 1998 die Filmmusik zu "Winnetous Rückkehr". Das ganze Projekt stand unter keinem guten Stern. Erst starb Drehbuchautor Werner Waldhoff, dann war auf einmal die Cutterin verschwunden. Produzentin Regina Ziegler sparte an allen Ecken und Enden.

 Marc Hairapetian: Ihre "Winnetou"-Musik wurde für den neuen Dreiteiler, den RTL zu Weihnachten ausstrahlte, von Ex-Camouflage-Keyboarder Heiko Maile adaptiert. Wie hat Ihnen der neue "Winnetou"-Soundtrack gefallen?

 Martin Böttcher: Die Musik ist "dreckiger" als mein romantischer Wildwest-Mythos, dennoch tauchen meine Motive auf. Das war auch Regisseur Philipp Stölzl wichtig.

 Marc Hairapetian: Seit einem Unfall mit Schädelbasisbruch und Gehörnerv-Quetschung im Alter von vier Jahren sind Sie auf einem Ohr taub. Ist das nicht ein schweres Handicap für einen Komponisten und Dirigenten, nur Mono zu hören?

 Martin Böttcher: Es ist in der Tat schwierig. Beim Dirigieren bewegte ich immer wie ein Radar den Kopf. Ich muss sagen, dass ich gar nicht weiß, was Stereo ist. Ich nehme es einfach nur zur Kenntnis.

 Marc Hairapetian: Einer ist Ihrer schönsten Stücke ist "Fiesta in Belo Horizonte". Wie kam der Titel zustande?

 Martin Böttcher: Das ist auch ein Lieblingsstück von mir. Da geht die Post ab! Das war jahrelang jeden Sonntag um 7:30 Uhr und 9:30 Uhr die Eröffnungsmusik für die NDR-Hörfunkreihe "Zwischen Hamburg und Haiti". Dann hatte der Redakteur einen Autounfall und es kam ein anderer. Die sind so bescheuert, eine Musik, die so lange da ist, einfach auszutauschen! Die Nummer komponierte ich ursprünglich 1965 für den Dokumentarfilm "Zum Beispiel Brasilien". Ich legte mich auch ins Zeug, weil ich einmal eine Freundin hatte, die Brasilianerin war und in Hamburg lebte, aber wieder nach Rio wollte. Ich sollte rüberkommen und wir wollten auch heiraten, aber ich war bereits so festgebunden durch meine Arbeit in Deutschland, dass die Beziehung scheiterte. Deswegen der Titel "Fiesta in Belo Horizonte".

 Marc Hairapetian: Hätte es Sie gereizt, als Komponist auch in Hollywood zu arbeiten?

 Martin Böttcher: Ich war in Hollywood. Auf Einladung des legendären Schauspielagenten und Filmproduzenten Paul Kohner. Was mich am meisten beeindruckte war, dass ich in einer langen Reihe acht seiner Sekretärinnen sitzen sah, von denen aber eine wirklich schöner als die andere war! Kohner war sehr nett zu mir: "Ich habe ihre Platten gehört. Sie können gleich hier anfangen." Ich entgegnete: "Meine Familie in Deutschland bringt mich um." Er darauf: "Schade". Und mein Hollywood-Traum war ausgeträumt, bevor er richtig angefangen hatte.


Interview: Marc Hairapetian führte das Interview mit Martin Böttcher am 24. September 2016 im Hollywood Media Hotel für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com

Die Fotos von Martin Böttcher und Marc Hairapetian machte Heiko Lehmann am 23. September 2016 bei der Gala 70 Jahre CCC-Film in der größten Studiohalle und am 24. September 2016 im Hollywood Media Hotel für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com

Einer von Martin Böttchers schönsten Titeln: "Fiesta in Belo Horizonte:


Martin Böttcher ist auch ein genialer Arrangeur: Seine hypnotische Version des Traditionals "O Cangaceiro", das durch Lima Barretos gleichnamigen brasilianischen Film von 1953 zum Welthit avancierte. Das Stück ist auch als "Mulher Rendeira" bekannt und gilt als das Kampflied der Cangaceiros (Bezeichnung für Menschen, die durch Armut zu Banditen geworden sind). Manche Quellen geben an, Alfredo Ricardo Do Nascimento (1908 - 1979) hätte es verfasst, andere wiederum schreiben es dem realen Cangaceiro Virgulino Ferreira da Silva (1898 - 1938) zu: