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Das modifizierte Vermächtnis des Apachen

Interview mit Regisseur Philipp Stölzl zur "Winnetou"-Neuverfilmung

Von Marc Hairapetian

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Obwohl sich Regisseur Philipp Stölzl gerade bei der Schnittabnahme des ersten Teils seiner "Winnetou"-Saga, die zu Weihnachten im Fernsehen ausgestrahlt werden soll, befand, nahm er sich viel Zeit für das folgende Interview. Der Spezialist für historische Stoffe ("Nordwand", "Goethe!", "Der Medicus") begann seine künstlerische Karriere als Bühnenbildner an den Münchner Kammerspielen. Nachdem der Sohn des Historikers und christdemokratischen Politikers Christoph Stölzl Werbespots und Videoclips (unter anderem für Rammstein) gedreht hatte, machte er sich als Film- und Opernregisseur international einen Namen. Ein Gespräch über Karl May, Frühkapitalismus, moderne Frauenbilder im Wilden Westen und die unbegrenzten (Un-)Möglichkeiten des Privatfernsehens.

Größere Ansicht anzeigen THE SPIRIT aka Marc Hairapetian & Regisseur Philipp Stölzl bei der "Winnetou"-Premiere im Delphi Filmpalast (Berlin, 14. Dezember 2016, photo für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

 Marc Hairapetian: Hast du dir zur Vorbereitung auf deinen "Winnetou"-Dreiteiler auch nochmals die alten Kino- und TV-Filme angesehen?

 Philipp Stölzl: Ja, und zwar alles! Wirklich schrecklich fand ich nur den Zweiteiler "Winnetous Rückkehr" von 1998. Allein schon die hanebüchene Idee, dass Winnetou jahrelang in einer Höhle (über)lebt haben sollte! Problematisch auch, dass Pierre Brice mit seinem französischen Akzent nicht synchronisiert wurde.

 Marc Hairapetian: Und welcher Film hat dir besonders gut gefallen?

 Philipp Stölzl: Auch hier eine Arbeit fürs Fernsehen: Die 14-teilige Serie "Mein Freund Winnetou". Es kommt ihr sehr zugute, dass sie an "Originalschauplätzen" in Mexiko gedreht viel Einfühlungsvermögen für indianische Lebensweise und Philosophie zeigt. Außerdem ist die fanfarenartige Musik von Peter Thomas klasse.

 Marc Hairapetian: Ihr wiederum habt wie bei den Horst-Wendlandt und Artur- Brauner-Kinoproduktionen der 1960er Jahre erneut in Kroatien gedreht.

 Philipp Stölzl: Wir haben frühzeitig erkannt, dass der Anspruch von absoluter Authentizität bei Karl May fehl am Platz ist. Das heißt nicht, dass man deswegen wieder im Retro-Fieber in das märchenhaft Sanfte der alten Filme eintauchen muss. Wenn du die Realität der Mescalero Apachen in den Jahren des Eisenbahnbaus, wie sie im Roman grob skizziert ist, recherchierst, kommst du automatisch zu tragischen Widerstandskämpfern wie Geronimo, die in einer traurigen Low-Life-Welt kämpften. Über die traurige und dramatische Vertreibung der Stämme gibt es hervorragende Filme, in der Regel auch von den US-Amerikanern selber. Da muss ich nicht als Deutscher kommen und einen neuen neuen Film über Geronimo drehen. Da käme ich mir idiotisch vor. Das Großartige an Karl May ist die Utopie. Hier wird der deutsche Einwanderer in der Gestalt von Old Shatterhand zum größten Freund aller Zeiten mit dem edlen Apachen-Häuptlingssohn! Man muss sich mal vor Augen halten, dass im amerikanischen Western die Indianer jahrzehntelang die Bösen waren und munter hilflose Siedler überfallen und getötet haben. Es geht erst spät los mit Filmen wie "Der mit dem Wolf tanzt", in dem Indianer überhaupt zu handelnden Personen werden. Dieser romantische Karl May, der sich den edlen Wilden herbei fantasiert, ist genauso fiktional wie als Haltung total toll! Die unterschiedlichen Kulturen versöhnen sich bei ihm miteinander, ja, sie verblutsbrüdern sich sogar! Wir hatten das Gefühl, dass man da Karl May greifen muss. Historische Genauigkeit ist, wenn man ihn adaptiert, nicht so wichtig. Es kommst darauf an, dass du verdichtet und kraftvoll erzählst.

 Marc Hairapetian: Von Kindheit an haben mich die exotischen Abenteuergeschichten von Karl May fasziniert. Als Deutsch-Armenier hege ich aber auch eine Hassliebe zu ihm, da er ja mit dem ersten christlichen Volk in seinem Werk häufig sehr unfair umgegangen ist. Wie stehst du zu Karl May?

 Philipp Stölzl: Karl May ist eine total widersprüchliche Figur mit extrem unterschiedlichen Lebensphasen bis hin zum esoterischen Symbolismus am Ende seines Schaffens. Allen Ernstes versicherte er da, dass alles, was er zuvor geschrieben hatte, nur metaphorisch gemeint gewesen wäre. Er ist auf jeden Fall einer der großen Utopisten und Fantasten dieser Zeit. Man kann ihn ohne Probleme neben solche Leute wie Richard Wagner stellen. Was er als Türkenfreund Negatives über die Armenier geschrieben hat, ist natürlich unwahr. Und kein Armenier würde jemals einen arabischen Namen tragen wie Hamd el Amasat im "Orient-Zyklus". Die Armenier sind ein sehr begabtes Volk, das durch die Diaspora quer über den Erdball verteilt ist. Ein sehr guter Freund von mir, der jetzt in Spanien lebt, ist auch Armenier. Der unglaubliche Zusammenhalt dieses Volks imponiert mir ungemein. May irrte gewaltig in seiner Einschätzung über sie - bis hin zur Schilderung einer falschen Physiognomie. Aber es war ja eine Zeit, als er seine vom Schreibtisch erfundenen "Reiserzählungen" schrieb, wo Menschen aus der Südsee noch auf irgendwelchen Völkerschauen in Europa ausgestellt wurden. Ich bin zum Beispiel ein großer "Tim und Struppi"-Fan. In Hergés Frühwerk "Tim in Amerika" und "Tim im Kongo" gibt es allerdings auch einen wahnsinnigen Rassismus und Kulturchauvinismus, der einem heute fremd vorkommt.

Größere Ansicht anzeigen Winnetou Nik Xhelilaj & Nscho-tschi Iazua Larios (Foto: RTL, Nikola Predovic, RatPack)

 Marc Hairapetian: Hergé hat sich wenigstens später für diese "Jugendsünden" entschuldigt. In "Der blaue Lotus" und "Tim in Tibet" hat er seine chauvinistisch-kolonialistische Haltung komplett revidiert.

 Philipp Stölzl: Absolut. Karl May konnte das wohl nicht. Diese ganze Sicht auf das Exotische ist ja bei ihm spätromantisch verbrämt mit all den Klischees, die da gleichzeitig eine Rolle spielen.

 Marc Hairapetian: Warum sind bei Karl May seine Schurkengestalten oftmals faszinierender als seine Helden? Der rote Colonel in "Der Schatz im Silbersee" ist doch wirklich eine Bestie in Menschengestalt!

 Philipp Stölzl: Das ist bei Genres fast immer so, weil die Helden häufig so mickymausartig geradeaus sind und die schillernden Charaktere meistens bei den Antagonisten liegen.

 Marc Hairapetian: Karl May hat mitunter abenteuerliche Analogien gezogen. So beginnt "Winnetou I" mit dem Satz: "Immer fällt mir, wenn ich an den Indianer denke, der Türke ein." Er vergleicht den "kranken Mann vom Bosporus" mit den von der weißen Rasse verfolgten, dahinsiechenden Indianerstämmen.

 Philipp Stölzl: Karl May kommt aus einer armen Kindheit und einem späteren Gefängnisaufenthalt. Er zieht sich selbst münchhausenhaft am Schopf aus dem Sumpf und hat dann in relativ kurzer Zeit diese Kolportageromane zusammenschustert. Die ersten Sachen sind noch halbpornografisch, doch dann fängt er an, Abenteuerromane zu schreiben. Wenn man es liest, ist es keine große Literatur. Es gibt viele Merkwürdigkeiten: Winnetou taucht sogar in dem bizarren Roman "Krüger Bei" auf. Der an sich ewig jugendliche Winnetou wird manchmal als alter Indianer geschildert. Beim gemeinsamen Schreiben des Drehbuchs mit Jan Berger kam es mir wie beim Goldwaschen vor: Du musst so lange den Sand entfernen, bis du erst darauf kommst, was das Ding Glühen lässt. Die Romane selbst in all ihrer Verquerheit nachzubuchstabieren, bringt nur wenig Freude.

 Marc Hairapetian: Was bringt es für dich zum Glühen?

 Philipp Stölzl: Es ist eine sehr warmherzige, große Freundschaftsgeschichte und es kommt bei uns noch eine Liebesgeschichte dazu. Aus der Zweierkonstellation haben wir eine Dreierkonstellation gemacht - Winnetou, Old Shatterhand und Nscho-tschi. Diese Idee, dass die Frau sofort sterben muss, damit die Landserfreundschaft der beiden Männer nicht gestört wird, ist wahrlich antiquiert. In der Neuzeit musst du eine starke Frauenfigur haben. Und das verändert die Geschichte total. Sie wird bei uns weiterdekliniert. Im Roman und im Kinofilm des ersten Teils wird Nscho-tschi sofort erschossen. Shatterhand sagt dann: "Ich habe sie geliebt!" Winnetou seufzt: "Ich weiß..." Shatterhand ergänzt: "Ich werde sie nie vergessen". Wortlos reiten sie dann weiter. In den Filmen weiß man noch nicht mal, wo Shatterhand genau aus Deutschland herkommt. Wie verdient er sein Geld? Es spielt in den alten Filmen keine Rolle, weil sie über die stereotypen Outlines funktionieren. Wenn man es als moderne Fernsehverfilmung macht, ist es etwas mehr dem Realismus verhaftet. Unsere Frauenfigur ist eine klasse Figur geworden - sie ist nicht nur Winnetous Schwester, sondern auch eine Schamanin. Diese Art von Geisterbeschwörerin und Priesterfunktion macht sie stärker. Bei den drei in sich abgeschlossene Abenteuern, die wir in fast sechs Stunden erzählen, haben die Figuren genügend Zeit und Raum sich zu entwickeln. Da ist der deutsche Einwandererkerl, der an sich ein verkrachter Ingenieur ist. Mit all seiner wilhelminischen Verklemmtheit wird er nun von den Indianern gefangen genommen und trifft dabei auf einen Winnetou, der ein richtiger Krieger ist und Weiße hasst. Diese so unterschiedlichen Männer finden erst ganz langsam zueinander. Es geht zunächst um eine "Wertedebatte", sage ich auf neudeutsch. Die sehr schnell wachsende Industriegesellschaft, wo der Eisenbahnbau in die noch unberührte Mitte von Amerika einbricht, ist wie ein Instant-Ikea-Bausatz aus dem Boden geschossen: Fertige Saloons und fertige Häuschen wirken fast wie ein Zerrbild. Der Frühkapitalismus hält uns einen Spiegel vor, was wir eigentlich sind. Auf der anderen Seite hast du Indianer, die Nomaden sind. Sie fangen einen Fisch, essen ihn auf. Zeugen dann Kinder. Die Sonne geht auf und unter. Und morgen fangen sie wieder einen Fisch. Wenn sie ihre Zelte abbauen, sieht es so aus, als ob niemand da gewesen wäre. Das ist wie eine verdichtete Metapher vom nachhaltigen Denken. Frei nach dem Motto: Du musst nicht unbedingt was leisten. Ist unsere von Old Shatterhand verkörperte deutsche Idee, dass du immer was schaffen musst, zum Beispiel eine Brücke bauen, das, was uns wirklich ausmacht? Sind wir deshalb glücklich? Das lässt sich anhand dieser Winnetou und Old-Shatterhand-Geschichte ganz schön erzählen und hinterfragen im Rahmen eines Unterhaltungsfilms.

Größere Ansicht anzeigen Winnetou Nik Xhelilaj & Old Shatterhand Wotan Wilke Möhring (Foto: RTL, Nikola Predovic, RatPack)

 Marc Hairapetian: Der christliche Aspekt Karl Mays ist bei euch weggefallen. Shatterhand will eigentlich immer alle sogenannten Heiden zum Christentum bekehren, selbst den 90-jährigen "Indianertöter" Old Wabble in "Old Surehand" als der bereits von Baumstämmen eingeklemmt, mit eingequetschten Unterleib im Sterben liegt...

 Philipp Stölzl: Wir haben uns damit relativ lange beschäftigt und gefragt: Wie kriegen wir das, was daran schön ist, hinein?" Bei Karl May kommt neben der Begeisterung für den unberührten Wilden auch ein deutscher Kulturchauvinismus zum Tragen. Der deutschstämmige Lehrer Klekih-petra macht erst aus dem Wilden den wahren Edelmenschen! Und in "Winnetou III" wird Winnetou christianisiert. Das wollten wir nicht erzählen. Das ist einfach zu stark 19. Jahrhundert. Was aber sehr wohl zeitlos ist, sind die Gedanken von Brüderlichkeit, Nächstenliebe und Friedfertigkeit. Das ist in einer Welt, wo gestern wie heute viele ein Kreuz tragen und sich wegen Ölquellen über den Haufen schießen, schon eine wunderbare Botschaft. Bei uns propagiert der Krieger Winnetou im Lauf der Handlung Pazifismus. Diese Idee, dass wir eigentlich alle Brüder und Schwestern sind, ob Mann oder Frau, weiß oder rot, hat schon etwas mit dem Urchristentum zu tun. Auf eine entspannte, offene Weise, versuchen wir das zum Thema der Geschichte zu machen, ohne, dass Winnetou getauft werden muss. (lacht)

 Marc Hairapetian: Wie siehst du den in der Literaturwissenschaft heftig diskutierten homoerotischen Aspekt zwischen Winnetou und Shatterhand?

 Philipp Stölzl: Da gibt es eine Menge zu finden in der Karl-May-Forschung. Seine Beschreibungen von Winnetou sind sehr schwärmerisch, vor allem was die Schönheit des Mannes betrifft. Unser Darsteller Nik Xhelilaj ist sehr viel körperlicher als das Pierre Brice noch war. Den siehst du bei uns nackiger, er ist viel muskulöser und kriegerischer. Da haben wir schon jemand gesucht, der bei all dem auch diese von Karl May geschilderte Anmut hat. Dadurch, dass bei uns die Frauenfigur eine große Rolle spielt, ist das ganz klar eine heterosexuelle Geschichte. Wotan Wilke Möhring ist ja auch ein absoluter Hetero-Typ. Dieser Riesen-Bully-Quatsch "Der Schuh des Manitu" hat sich über die Männer-Konstellation nur lustig gemacht. Beim Duo Lex Barker und Pierre Brice hatte der weiche Franzose allerdings tatsächlich etwas von einer Frauenfigur. Dieser himmelwärts, in sich gekehrte Aspekt ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn du wie wir Winnetou zum virilen Krieger machst, fällt das aber weg. Doch man muss aufpassen, dass man diese Männerbeziehung nicht fehlinterpretiert: In der Literatur des 19. Jahrhundert gibt es viele Männerfreundschaften. Das hat mit dem Schwulsein und körperlichen Sex mit Männern haben, wenig zu tun. Es war damals einfach eine Zeit, wo Frauen gar nicht so eine große Rolle gespielt haben. Dieses Kameradentum mit Beinahe-Liebesaspekt der Kinofilme empfinde ich heute eher als altmodisch und den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts verhaftet. Nachdem sie ihr erstes Abenteuer bestanden haben, sagt Winnetou zu Shatterhand: "Ich gebe dir meine Schwester zur Frau." Das entscheidet er einfach als Bruder. Shatterhand sagt: "Ja, ich liebe sie!" Winnetou meint aber, das zuvor Nscho-tschi erst nach Santa Fé gebracht werden muss, um in einer Haushaltsschule der weißen Frauen zu lernen, wie man Sauerkraut kocht! Er erläutert: "Dafür müssen wir jetzt das geheime Gold der Apachen bei den weißen Bergen holen" Sie reiten dorthin und dann werden Intschu tschuna und Nscho-tschi von Santer und seinen Erfüllungsgehilfen erschossen. Das ist heute wahnwitzig retro und hat für uns ein furchtbares Chauvi-Frauenbild. Die Intensität dieser Männerliebe hat zur Folge, dass Frauen an den Rand der Geschichte gedrückt werden. Wir haben versucht, eine moderne Männerfreundschaft auf Augenhöhe mit Konfliktpotential zu erzählen. Der Winnetou bei uns spricht zuerst auch kein Deutsch. Wir blenden dann im Film Untertitel ein, wenn die Indianer in der Apachen-Sprache miteinander reden.

 Marc Hairapetian: Es klingt sinnfällig, es heutzutage filmisch realistischer zu machen. Doch ist es nicht auch etwas verfehlt, wenn man einen Indianer und einen Deutschen des 19. Jahrhunderts "auf Augenhöhe" zeigt? Ihr macht ja keinen Film, wo ein Deutscher des 21. Jahrhunderts daherkommt und auf eines der Überbleibsel der nordamerikanischen Ureinwohner trifft. Liegt nicht auch eine Gefahr darin, wenn man den seiner Zeit verhafteten Roman mit seinen möglicherweise veralteten Wertvorstellungen in die heutige Zeit holt?

Größere Ansicht anzeigen Winnetou Nik Xhelilaj & THE SPIRIT aka Marc Hairapetian bei der Preview im Delphi Filmpalast (Berlin, 14. Dezember 2016, Foto: Heiko Lehmann für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

 Philipp Stölzl: Ich habe schon mehrere historische Filme gemacht. Irgendwann rutscht man so rein in eine Ecke, wo es heißt: "Der kann gut mit historischen Stoffen umgehen!" Man kann einen historischen Film nur machen, wenn man auch einen Bezug zu den Figuren hat. Wir lesen doch anno 2016 ein Dostojewski-Buch aus dem vorletzten Jahrhundert und nehmen für heute etwas mit. Shakespeares Werke haben alle etwas Allgemeinmenschliches. Wenn du heute eine Winnetou-Neuerzählung machst, legst du eine zweite Ebene auf Altbekanntes. Wir haben angenommen, dass dieser Apachen-Stamm sehr abgeschieden lebt. Bis auf einige Trapper hatten sie mit Weißen noch keinen Kontakt. So war es natürlich in den 1860er Jahren in Wirklichkeit längst nicht mehr. Doch wenn "Winnetou" drauf steht, akzeptierst du es. Es ist auch ein Stück weit ein Märchen, was du mit "Winnetou" erzählst.

 Marc Hairapetian: In welchem Format habt ihr gedreht?

 Philipp Stölzl: Wir haben tatsächlich im Scope-Format gedreht. Das ist schon erstaunlich genug, dass das der Sender gut fand.

 Marc Hairapetian: Und wie viele Drehtage hatte die Produktion?

 Philipp Stölzl: Pro Teil hatten wir 27 Drehtage. Da musst du schon ganz schön galoppieren, um das auch hinzubekommen.

 Marc Hairapetian: Wie hoch war das Budget?

 Philipp Stölzl: 13,8 Millionen Euro. Wir haben dabei alle Geld herein gegeben. Auch die ganzen Schauspieler haben für weniger mitgemacht, weil sie es einfach machen wollten. Ein Film, der in abgelegenen Locations spielt mit in einer Westernstadt, die du extra bauen musst, ist ein gewaltiger Kraftakt. Du brauchst Indianerstämme, die ordentlich geschminkt und frisiert werden müssen und nicht so dilettantisch wie in den meisten Horst-Wendlandt- oder Artur-Brauner-Produktionen. Per se ist "Winnetou" eigentlich kein besonders fernsehaffines Genre. Selbst wenn nur Winnetou und Old Shatterhand durch die Prärie reiten und einfach quatschen, muss man als Filmteam darauf achten, dass die Pferde nicht durchgehen und das es nicht regnet...

 Marc Hairapetian: Ist der neue Dreiteiler dein ureigenes Projekt oder ist es an dich herangetragen worden?

 Philipp Stölzl: Es gibt immer relativ viele neue Winnetou-Projekte, die ganz unterschiedliche Leute machen wollen. Ich bin tatsächlich mit dieser Idee, es im Fernsehen als Volksevent zu machen, an die Produzenten herangetreten und dann wurde ein Sender gesucht.

 Marc Hairapetian: Fiel die Wahl bewusst auf RTL?

 Philipp Stölzl: Ich muss sagen, die waren total super. Ich würde mich höflich diskret ausdrücken, wenn es nicht so wäre. Sie ließen uns ein sehr erwachsenes Fernsehprogramm machen, das bewusst gar nicht so ein Popspektakel sein will. Der erste Teil ist ein bisschen so etwas wie "Der mit dem Wolf tanzt" geworden und mit viel Sensibilität erzählt. Das Drehbuch haben sie uns ohne weiteres abgenommen. Sie wollen sich jetzt unbedingt die anspruchsvolle Seite erobern. Da haben sie schon mit "Deutschland 83" einen ersten Anfang gemacht, auch wenn die Zuschauerzahlen nicht wie erhofft waren. Sie sagen sich: " Ja, wir sind Dschungelcamp und Trash-TV, aber für modernes, anspruchsvolles Fernsehen wollen wir auch stehen. Wir wollen beides sein." Einen Versuch ist es wert, dass man mit einer Marke wie Winnetou anders als bei "Deutschland 83" die Leute zum Umschalten bekommt. Die Strategie ist: "Jetzt mal RTL, weil nur da können wir jetzt die neuen Winnetou-Filme sehen!" Wäre der Dreiteiler bei der ARD, wäre es viel kalkulierbarer. RTL ist wie ein Unternehmen. Sie bringen die massiven Mittel auf, die es braucht, um unser Konzept von "Winnetou" zu machen.

 Marc Hairapetian: Trotzdem kann man sich "Winnetou" mit Werbeunterbrechungen an Weihnachten schwer vorstellen...

 Philipp Stölzl: Die wird es geben, ohne Frage, aber das blende ich aus. Ich selber sehe überhaupt kein Fernsehen. Ich nehme an, dass viele Leute als Sammler auch einem Kino-Release für Liebhaber oder der DVD- bzw. Blu-ray-Veröffentlichung entgegenfiebern. Wenn du Kino machst, weißt du, dass der Film-Rhythmus das Wichtigste ist - und beim Privatfernsehen ist das natürlich ein Hindernis. Aber so ist es nun mal. Das ist ihr Geschäftsmodell. Andererseits wird den Leuten ja quasi auch etwas geschenkt. Dafür, dass du es an Weihnachten drei Abende hintereinander sehen kannst, musst du halt als Zuschauer diese Unterbrechungen ertragen.

 Marc Hairapetian: Konkret gefragt: Handelt es sich bei eurem Dreiteiler ausgehend von "Winnetou I" um eine ganz eigenständige Fortführung?

 Philipp Stölzl: Eigentlich ist es ein kompletter Remix. Alle Dinge, die wir gut aus der "Winnetou"-Saga finden inklusive "Der Schatz im Silbersee", Hatatitla, Iltschi, Silberbüchse, Sam Hawkens, Nscho-tschi haben wir neu zusammengebaut.

 Marc Hairapetian: Auch Winnetous Tod?

 Philipp Stölzl: Dieser jesushafte Opfertod gehört schon dazu, was diesen Stoff so blühen lässt. Es ist der Kern, der emotional den Winnetou-Mythos ausmacht. Unser Einstieg ähnelt wie gesagt "Der mit dem Wolf tanzt", wo beim Eisenbahnbau Shatterhand plötzlich auf der Seite der Entrechteten steht. Der Mittelteil ist der "Spaßteil" mit einer Schatzsuche wie beim "Silbersee". Essentiell und relativ düster geht es im letzten Teil um Vertreibung, den Tod von Winnetou und was der uns möglicherweise sagen soll.

 Marc Hairapetian: Am Ergreifendsten ist "Winnetous Tod" im Hörspiel inszeniert worden - und zwar in der "Europa"-Schallplattenaufnahme meines 2012 verstorbenen Freundes Konrad Halver. Er spricht auch den Winnetou und scheidet zu den Klängen von Antonín Dvoraks Neunter Sinfonie "Aus der Neuen Welt" mit den gebrochenen Worten dahin: "Scharlih, ich glaube an den großen weißen Manitu. Ich bin ein... Christ." Kennst du die Hörspielaufnahme und wie gefällt sie dir?

 Philipp Stölzl: Ich habe Konrad Halver leider nicht mehr wie du persönlich kennen gelernt, liebe aber diese Hörspielaufnahme von "Winnetou III, 2. Teil". Ich verbinde damit Kindheitserinnerungen, wenn ich beim Kakao-Trinken ergriffen vor dem Schallplattenspieler saß und Konrad lauschte. Die ganzen Hörspiele hat mir Produzent Christian Becker nochmals als Vinyl-Platten geschenkt. Sie haben bei mir im Arbeitszimmer einen Ehrenplatz. Ein starkes Werk macht in der künstlerischen Rezeption immer eine Metamorphose durch. Die Romane sind anders als die Hörspiele und die Hörspiele sind anders als die Filme. Jede Generation sieht - und hört - es noch mal neu. Bei den Karl-May-Treffen gibt es häufig einen unglaublichen Fundamentalismus. Den verstehe ich gar nicht. Es gibt oftmals eine merkwürdige Allianz zwischen Karl-May-Fundis und Indianer-Aktivisten, was eigentlich gar nicht zusammen passt. Wie dem auch sei - bei einer Sache gehe ich mit ihnen konform, nämlich der Tatsache, dass Konrad Halvers Karl-May-Hörspiele wunderbar und einzigartig sind!

 Marc Hairapetian: Kommen wir zur Besetzung deines "Winnetou"-Dreiteilers. Wie fiel die Wahl auf Wotan Wilke Möhring als Old Shatterhand?

 Philipp Stölzl: Wotan ist ein ist totaler Indianerfan und wollte schon lange Old Shatterhand spielen. Bei einem Fernsehevent sollten bestimmte vertraute Helden zu dir ins Wohnzimmer kommen. Man sagt beim "Tatort" auch immer: Es ist das letzte Lagerfeuer, wo alle in der Familie gemeinsam vor dem Bildschirm versammelt sind. Auf Wotan können sich alle einigen. Ich spreche nicht davon, dass er eine tolle Physiognomie hat und ein toller Schauspieler ist. Er ist einfach ein toller Typ, der sowohl von Frauen wie Männern akzeptiert wird. Ein Shatterhand muss viel leisten: Einerseits das Wilhelminische, dann das Körperliche, wenn er mit Schurken in schwindelnder Höhe auf der Eisenbahnbrücke kämpft. Wotan ist die perfekte Wahl. Nicht jeder will ein halbes Jahr nach Kroatien zum Drehen und dafür sein echtes Leben hinter sich lassen.

 Marc Hairapetian: Bei Winnetou habt ihr wie einst Produzent Horst Wendlandt und Regisseur Harald Reinl wieder auf keinen echten Indianer gesetzt....

 Philipp Stölzl: Wir haben wie die Wahnsinnigen gesucht! Bei Native Americans, in Südamerika, in Spanien und im Maghreb-Raum. Ich habe wirkliche Hunderte von Casting-Bändern. Beinahe hätten wir einen Indianer aus Alaska genommen, aber ihm fehlte die kriegerische Anmut, die Nik ausstrahlt. Wir verwendeten jedenfalls keine schlecht sitzenden Perücken und mit Schuhcreme bemalte Gesichter wie in den theatralisch überzeichneten alten Filmen. Auch Gojko Mitic´, der bereits in den Filmen der 1960er Jahren mitwirkte, wirkt bei uns als Winnetous Vater Intschu tschuna äußerlich wie innerlich sehr überzeugend. Beim Casting wurde ich an eine alte Brecht-Anekdote erinnert, in der er die Requisiteurin bei Theaterproben anherrschte, sie solle ihm keine Attrappe, sondern einen richtigen Holzstock bringen. Als sie das am nächsten Tag tat, brüllte er wieder herum. "Aber das ist doch ein echter Holzstock!", entfuhr es ihr bei allem Respekt vor dem sich ungebührlich benehmenden Dichter. Dieser entgegnete gewitzt-bestimmt: "Es ist egal, ob es sich um einen echten oder falschen Holzstock handelt. Er muss nur wie ein echter Holzstock aussehen."

 Marc Hairapetian: Als Nscho-tschi habt ihr mit Iazua Larios eine geographische Annäherung an das "Original" erzielt: Sie ist waschechte Mexikanerin und wirkte in Mel Gibsons Meisterwerk "Apocalypto" mit. War sie die erste Wahl?

 Philipp Stölzl: Sie ist atemberaubend, aber eigentlich hätten wir gerne Q´orianka Kilcher, die in Terrence Malicks "The New World" Pocahontas gespielt hat, verpflichtet. Eine wunderschöne Frau mit Quechua-Wurzeln. Doch sie war zu teuer. Das konnten wir uns leider nicht leisten.

 Marc Hairapetian: Ihr Vorname heißt übersetzt "Goldener Adler". Wenn ich das im Vorfeld gewusst hätte, hätte man vielleicht etwas machen können. Ich kenne sie seit 2006 gut und wenn sie von einer Sache überzeugt ist, schaut sie nicht aufs Geld.

 Philipp Stölzl: Das ist in der Tat sehr schade. Aber jetzt stellt sich die Frage eigentlich nicht mehr, da ich mit Iazua mehr als zufrieden bin. Wenn du die Rollen erst einmal festgelegt hast, bleibt keine Zeit mehr für Wehmut.

 Marc Hairapetian: Glaubst du, dass du die eingefleischten alten Karl-May-Fans genauso ins Boot holen kannst wie die junge Generation, die kaum noch die Bücher gelesen hat und der die Filme der 1960er Jahre großteils zu harmlos sind?

 Philipp Stölzl: Ja und nein. Mit den alten Fans hatte ich ein sehr interessantes Erlebnis. Zuerst wurden wir in den Foren von einigen regelrecht beschimpft, wie wir es wagen könnten, uns an ihrem "Heiligtum" zu vergreifen! Später ergab sich zum Teil ein persönlicher Kontakt, denn je länger wir in Kroatien drehten, desto häufiger tauchten sie am Set auf. Einige von ihnen sind ganz schöne Freaks, aber auch die bekamen auf einmal leuchtende Augen und freuten sich unfassbar, noch einmal erleben zu dürfen, wie ein neuer "Winnetou"-Film entsteht. So wie alte Wagnerianer, die auch eine moderne Interpretation zu schätzen wissen, gerade, weil sie sich so gut auskennen. Was die jungen Leute betrifft, weiß ich überhaupt nicht, wie es ankommen wird. Ich habe selbst Kinder. Normalerweise stehen sie jetzt auf Scifi und Fantasy und vor allem auf "Star Wars", "Herr der Ringe" und "Harry Potter". Ob du die mit Cowboys und Indianern noch abholen kannst, weiß ich nicht. Vielleicht eher die Generation ab 30 aufwärts. In Zeiten von immer schneller werdenden Fernflügen und des Internets üben ferne, exotische Länder nicht mehr so eine Anziehungskraft auf Jugendliche aus. Der vollkommen überzüchtete Hollywood-Western-Aufguss "Lone Ranger" floppte ja vor drei Jahren auch an den Kinokassen.

 Marc Hairapetian: Würdest du dich selbst als Karl-May-Fan bezeichnen?

 Philipp Stölzl: Nein, aber er hat schillernde Populärkultur geschaffen, die seit mehr als 130 Jahren die Deutschen immer noch in ihren Bann zieht. Ich bin Jahrgang 1967 und mit den Wiederholungen der Karl-May-Filme im Fernsehen aufgewachsen. Neu auf deine Kindheitserinnerungen zu blicken, ist ungemein reizvoll. Aber einen Film mit analytischer Distanz zu drehen, ist etwas ganz anders als romantisierendes Fantum. Am 13. Januar nächsten Jahres hat ein von mir zusammengestellter Theaterabend in Dresden Premiere, wo ich mich nochmals und etwas anders mit dem Phänomen Karl May beschäftigen werde.

 Marc Hairapetian: Pierre Brice sagte mir, dass mindestens die Hälfte des Erfolgs der Karl-May-Filme die Musik von Martin Böttcher ausmachen würde. Warum wird sie jetzt von Heiko Maile "recycelt"?

 Philipp Stölzl: Wir haben die Rechte daran gekauft. Filmkomponist Heiko Maile darf sie neu instrumentieren und mit den musikalischen Themen frei umgehen. Sechs Stunden Film zu vertonen, wäre wohl für Martin Böttcher, der im nächsten Jahr 90 wird, zu anstrengend geworden. Da unser Dreiteiler wesentlich "dreckiger" als die Filme der 1960er Jahre ist, macht auch der Soundtrack eine Metamorphose durch und so erklingen mitunter seine Melodien, die jetzt auf einem rostigen Banjo gespielt werden.

 Marc Hairapetian: Stimmt es, dass dir Pierre Brice einen Brief schrieb und viel Glück für die Dreharbeiten wünschte?

 Philipp Stölzl: Ja. An sich war der Plan, dass er mitspielen sollte als uralter Schamane, der dem jungen, von Nik verkörperten Winnetou seinen Segen gibt. Pierre Brice lagen die politisch-religiösen Aspekte der "Winnetou"-Saga sehr am Herzen. Jedenfalls hat er mir auch sehr nett zurück geschrieben. Er konnte ja kaum noch sprechen. Und in diesem Zustand wollte er sich nicht mehr dem Publikum präsentieren. Das hat mir auch Mario Adorf gesagt, der bei uns wieder mit dabei ist und der mit ihm noch vor einigen Jahren gedreht hatte. Pierre Brice hat uns alles Gute gewünscht und geschrieben, was ihm sein Leben lang so wichtig an dem Stoff war. Er wünschte, dass wir das alles sorgsam behandeln sollten. Und das machen wir auch im Sinne seines Vermächtnisses.

Das Interview mit Philipp Stölzl führte Marc Hairapetian am 24. Mai 2016 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com