„Das Wichtigste war die Geschichte selbst“ oder
„Weggehen war nicht gut“


Interview mit Christiane Kubrick über ihren Mann, den Meisterregisseur Stanley Kubrick (26. Juli 1928 – 7. März 1999)


Von Marc Hairapetian

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Auf der Fahrt zu Stanley Kubricks legendärem Landsitz Childwickbury Manor in der englischen Grafschaft Hertfordshire sind drei elektronische „Sesam, öffne Dich!“-Tore zu passieren, bis man in das Zentrum des jahrhundertealten Anwesens gelangt. In einer ehemaligen Stallung, die zu einem Atelier umfunktioniert wurde, findet das Interview mit der am 10. Mai 1932 geborenen einstigen Schauspielerin und jetzigen Malerin Christiane Kubrick statt, die von 1958 bis zu seinem Tod am 7. März 1999 mit dem Meisterregisseur verheiratet war. „Sie füllt Childwickbury Manor mit ihrer Persönlichkeit.“, sagt ihr Bruder Jan Harlan, der seit Anfang der 1970er Jahre als Ausführender Produzent Stanley Kubricks rechte Hand war. Das spürt man auch, wenn man in ihrer Küche sitzt, in die sie nach dem Interview zum Essen einlädt. Der Raum ist von Wärme und Herzlichkeit erfüllt und irgendwie auch vom Charisma der Person, die jetzt hier fehlt: Das Grab Stanley Kubricks befindet sich an einem Baum inmitten des 70 Hektar großen Gartens, indem Hunde, Katzen und zwei Esel die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings genießen.

 

Marc Hairapetian: Welchen Stellenwert hat für Sie selbst die weltweit erste große Stanley –Kubrick-Ausstellung in Frankfurt am Main? Seid wann trugen Sie sich mit dem Gedanken an eine solche posthume Würdigung?

 

Christiane Kubrick: Es wäre sehr traurig gewesen die furchtbar vielen Sachen, die hier aufgestapelt sind, einfach in irgendein Lager zu stecken. Das hätte ich nicht ausgehalten, sie einfach in Kisten zu stecken und zu sagen: „Zugeklebt – weg“. Das wollte ich nicht. Natürlich haben wir in der Familie nach Stanleys Tod häufig über eine Ausstellung gesprochen. Dann kam durch den Leiter des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt/Main, Herrn Reichmann, das Thema auf, als wir in Frankfurt am Main zu Besuch bei der Ken-Adam-Ausstellung waren. Wir erzählten ihm, wie furchtbar viele Sachen wir hier in Kisten haben. Vor allem zum nicht realisierten „Napoleon“-Projekt. Er meinte, dass wäre doch eine Ausstellung wert – und so kam es zustande. Ich bin sehr froh darüber, dass ich dann irgendwann die Sachen, wenn man sie in vielen anderen Städten gesehen hat, so wegpacken kann, dass ich denke, es ist nicht so einfach begraben worden.

 

MaHa: Im Januar 2005 – kurz vor Beginn der Internationalen Filmfestspiele - kommt die Ausstellung nach Berlin. Stehen schon weitere Orte fest?

 

Christiane Kubrick: Danach geht es nach Rom. Wir bemühen uns auch um England. Ich nehme an, dass die Ausstellung ziemlich gut ankommen wird. Es ist ausgerechnet als Witwe sehr schwer zu beurteilen, wie spannend das für andere Menschen ist. Ich denke, dass die diejenigen die Stanleys Filme gerne mochten, hingehen. Ich weiß, wie sehr ich mich für andere Maler begeistere – es bleibt interessant.

 

MaHa: Ist der Nachlass so groß, dass das Deutsche Filmmuseum mit dem ebenfalls am Frankfurter Schaumainkai liegenden Deutschen Museum für Architektur förmlich kooperieren musste?

 

Jan Harlan : Genau das ist der Grund. Das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt am Main hat ja noch seine Standard-Ausstellung. Die wird auch nicht abgebaut. Es hat nur zusätzliche Räume für Sonderausstellungen. Es liegt unmittelbar neben dem Museum für Architektur. Und das ist eine ideale Symbiose. Das Filmmuseum in Berlin ist zu klein, deshalb wandert die Ausstellung vor, während und nach der nächsten Berlinale in den Martin-Gropius-Bau.

 

MaHa: Werden bei der Retrospektive auch die Originalkopien gezeigt, die Stanley in seinem Archiv hatte?

 

Jan Harlan: Nein, es sind neue. Originalkopien, das spielt ja gar keine Rolle. Wichtig ist, dass die Kopien im guten Zustand sind. Originalkopien der alten Farbfilme wären inzwischen durch die lange Lagerung verfärbt.

MaHa: Es war zu lesen, dass Stanley Kubrick viele Requisiten vernichtet hätte, um das Geheimnis seiner Filme zu wahren.

 

Christiane Kubrick: Er hat nicht pompös gedacht: „Das Geheimnis meiner Filme!“ Bestimmte Sachen will keiner gerne herumliegen lassen. Man braucht immer Platz für eine solche Sammlung. Selbst in großen Häusern hat man diesen oftmals nicht dafür. Er hat sich aber nicht bewusst darüber Gedanken gemacht.

 

MaHa: Hat er nach bestimmten Kriterien Dinge aufgehoben, beispielsweise aus ästhetischen Gründen?

 

Christiane Kubrick: Er war jemand, der generell nichts wegschmiss. Das war immer das reinste Chaos! Weil er es noch nicht aufgeräumt hatte, wollte er es noch nicht wegschmeißen. Alle, die unordentlich sind, kennen das Gefühl, das man denkt: Ich würde es jetzt gerne wegschmeißen, aber da ist alles mögliche noch drin, was ich noch brauche. Also wird das Ganze aufbewahrt. Und so war es auch bei ihm.

 

Jan Harlan (pflichtet ihr bei): „Ganz genau so. Vernichtet hat er eigentlich immer nur die Outtakes, aber nicht die Requisiten. Wir haben z.B. das Star Child von „2001 – Odyssee im Weltraum“.

 

MaHa: Aus was für einem Material ist die Puppe eigentlich?

 

Jan Harlan: Aus Holz. Das werden sie sehen. (lacht)

 

MaHa: Sie sagten bereits im September 1999 bei unserem ersten Treffen, dass die sogenannten Special Effects von Stanley Kubrick eigentlich gar keine gewesen wären, sondern vielmehr auf Holz bemalte Requisiten, die man sehr sorgfältig fotografiert hätte. Ich bin kein großer Freund dieser ganzen digitalen Effekte in den letzten Jahren. Sie sehen meist verschwommen und unecht aus. Bei „2001- Odyssee im Weltraum“ hat man den Eindruck, man sei tatsächlich mitten im Weltall, doch das Faszinierende daran ist, dass alles handgemalt oder gebaut wurde.

 

Jan Harlan: Richtig, das Digitale gibt allerdings schon Möglichkeiten, die man vorher einfach nicht hatte. Denken Sie an „Jurassic Park“. Da hat man zum ersten Mal gesehen, wie die Dinosaurier über die Wiese rennen. Das war schon sehr eindrucksvoll.

 

Christiane Kubrick: Wir sind als Betrachter auch schnell verwöhnt. Ich nehme an, dass sich der Eindruck des „Echtheitsgefühl“ in Zukunft angleichen wird. Die Computerbilder werden immer besser. Ich habe jetzt bei meinen Enkelkindern neue japanische Spiele gesehen; das kann man gar nicht beschreiben, wie gut es aussieht und wie gut auch der Klang ist. Das Wissen um diese Dinge verdoppelt sich alle drei Monate.

 

Jan Harlan: Gleichzeitig war ich so sehr berührt von diesem Vermeer-Film „Das Mädchen mit den Ohrringen“, wie man wieder zurückgehen kann auf normales Design.

 

Christiane Kubrick: Das eine füttert das andere. Die Leute werden immer anspruchsvoller und wollen sich nicht irgendwelchen Käse ansehen.

 

MaHa: Seinen 1953 entstandenen allegorischen Debütspielfilm „Fear and Desire“, bei dem in eine Art Niemandsland eine Gruppe Soldaten auf feindliche Doppelgänger trifft, schätzte Stanley Kubrick genauso wenig wie den darauffolgenden „Der Tiger von New York“, den er als „dilettantisch“ abtat, was ich persönlich nicht nachvollziehen kann, weil der in 67 Minuten all das hat, was einen guten Kubrick-Film auszeichnet: Anhand der Fotografie und der Musik, aber mit nur wenigen Dialogen, bringt er einem die Geschichte näher. Mögen Sie die beiden Filme - wie er - auch nicht?

 

Christiane Kubrick: Doch, aber ich kann ihn verstehen: Jeder sieht sich seine ganz frühen Arbeiten sehr ablehnend an. Es wäre ja auch schlecht, wenn man nicht hoffte, dass man immer besser wird. Deswegen denkt man, je älter der Film ist: Da habe ich überhaupt noch nichts gewusst. Man kann fast gar nicht mehr hingucken, weil man sich verändert hat. Ich habe „Fear and Desire“ auch noch nicht vollständig gesehen, weil er mich immer an der Movieola unterbrochen hatte und sagte: „Diese Stelle ist zu doof.“ Er fand den Film zu sentimental. Ich habe die Fragmente vor ganz langer Zeit gesehen, nun müsste ich es mir mal wieder ausgraben.

 

Jan Harlan: Ich habe ihn in meinem Büro. Er ist gar nicht so schlecht. Stanley war damals noch ein ganz junger Mann.

 

Christiane Kubrick: Wenn man ein älterer Mann ist, will man seine Jugendarbeiten nicht sehen. Jeder hat eine fürchterliche Schublade, die keiner sehen darf - und dazu gehörte in diesem Fall „Fear and Desire“. Er fand es einfach backfischhaft.

 

MaHa: Welcher Film ihres Mannes liegt Ihnen denn besonders am Herzen?

 

Christiane Kubrick: Ich mag eigentlich jeden Film auf seine Weise gerne. Er mochte immer seinen jeweils letzten Film am liebsten. Das geht wohl den meisten Regisseuren so, sonst würde man ja nicht den neuesten Film machen. Ich habe immer - aus offensichtlichen Gründen als jemand der Landschaften malt - eine Schwäche für „Barry Lyndon“ gehabt. Sie waren ja alle ganz unterschiedlich, deswegen kann ich auch nicht sagen: Den mag ich am liebsten.

 

 

MaHa: Manche Frauen haben aufgrund der stilisierten Gewaltdarstellung und der Vergewaltigungssequenz Probleme mit „Uhrwerk Orange“. War Ihnen der Film auch zu hart?

 

Christiane Kubrick: Ich weiß, dass „Uhrwerk Orange“ eine ganz böse Parabel ist; damit habe ich keine Probleme. Nein, die Geschichte hat mir sehr gut gefallen.

 

MaHa: Es gibt zwei Fassungen von Anthony Burgess` Roman „Uhrwerk Orange“, die sich lediglich durch den Schluss unterscheiden .Bei der einen wird der ehemalige Bandenchef Alex De Large einsichtig, als er einen ehemaligen Weggefährten mit Frau und Kind in einem Pub trifft. „Jung sein, ist ein wenig wie Tier sein“ legt Burgess Alex in den Mund und meint, dass Gewalttätigkeit ein vorrübergehendes Phänomen sei. Bei Kubrick bereut Alex am Ende gar nichts. Im Gegenteil: Die Schlusseinstellung zeigt seine Wunschversion, bei der er vor einer höflich klatschenden viktorianischen Gesellschaft den Geschlechtsakt mit einer jungen Frau vollzieht. Warum wählte ihr Mann dieses Finale?

 

Christiane Kubrick: Die Burgess-Version, wo Alex am Ende wieder lieb wird, hatte Stanley während der Vorbereitung zum Film gar nicht gelesen. Erst nach Beendigung der Dreharbeiten bekam er es in die Finger und fand es gar nicht gut - nach dem Motto: „Jetzt hat man alles hinter sich und ist gottlob recht tugendlich.“ Anthony Burgess, der sehr von der Presse bedrängt wurde, fand einmal dieses und einmal jenes Ende besser. Das Ende ist bei meinem Mann ganz bitter und böse, wenn Alex aus dem Off zum Zuschauer spricht: „I was cured, alright!“ („Ich war wieder geheilt.“)

 

MaHa: Ihr Mann hat viele Romanvorlage für seine Filme sehr eigen adaptiert. Viele Elemente stammen von ihm, wie z.B. die Szene mit der Schreibmaschine in „The Shining“, als Shelley Duvall entdeckt, dass Jack Nicholson monatelang im eingeschneiten Overlook Hotel bei der Arbeit an seinem neuen Buch nur einen einzigen Satz geschrieben hat: „Was du heute kannst besorgen, dass verschiebe nicht auf morgen“, heißt es im Deutschen...

 

Christiane Kubrick (ergänzt): …und im Original schrieb er: „All work and no play make Jack a dull boy“. Für jedes Land verwendete Stanley ein anderes Sprichwort, das Jacks Abdriften in den Wahnsinn auf ironische Weise verdeutlichen sollte. – Er hat immer sehr viel geändert an der Geschichte. Er hat auch immer dann etwas verändert, wenn er dachte, so ginge es filmisch besser darzustellen.

 

Jan Harlan: Er wollte vor allem ein Enigma zu „The Shining“ hinzusetzen. Er wollte das nicht ordentlich ablaufen lassen, sondern die Geistergeschichte lieber nicht auflösen.

 

Christiane Kubrick: Er wollte sie auf keinen Fall erklären. Er hat sein eigenes Gruseln, seine eigene Empfindung verfilmt, nachdem er die Geschichte gelesen hat. Auch die Schauspieler – allen voran Jack Nicholson – trugen dazu bei. Wenn es plötzlich vor der Kamera losgeht, gelingt manchmal etwas, worauf vorher noch keiner gekommen ist.

 

MaHa: Philip Stone alias Delbert Grady sagt in der berühmten Toilettenszene zu Jack Nicholson, er wäre schon immer der Hausmeister im Overlook Hotel gewesen. Nach seinem Tod im zugeschneiten Heckenlabyrinth zeigt ein Foto Jack während eines Hotelballs im Jahr 1921. Ist er selber ein Geist?

 

Christiane Kubrick : Wir sollen uns gruseln. Wir sollen es nicht wissen. Das soll das Gefühl sein.

 

Jan Harlan (auf englisch): Never explain something that you don`t understand yourself.

 

Christiane Kubrick: Das Gefühl, weswegen wir gerne Gespensterfilme sehen ist: VIELLEICHT GIBT ES SO ETWAS DOCH. Aber das ist das Gefühl, dass man als Kind hat; wenn man das in einem Erwachsenen wiedererwecken kann, hat man ihm das Gruseln wiederbeigebracht. Stanley hat Gruselfilme sehr gerne gesehen, aber noch viel lieber hat er sie erzählt. „Rosemaries Baby“ fand er sehr gut. Das Gefühl „Jetzt kann ich gleich nicht hingucken“ wollte er in anderen auslösen. Er hatte sich mal ausgedacht, er wollte einen Film machen, der so beängstigend wäre, dass die Leute aus dem Theater gehen würden. Er wollte einen Film drehen, wo die Leute ihr Geld wiederkriegen, wenn sie ganz durchsitzen können.

 

MaHa: Wissen Sie eigentlich, dass ihr Mann in Ira Levins Roman zu „Rosemaries Baby“ auftaucht? Rosemaries Mann, der Schauspieler ist, hat darin einen Vorsprechtermin bei Stanley Kubrick. Roman Polanski hat das Buch eins zu eins verfilmt mit Ausnahme der zeitgenössischen Personen, die darin auftauchen.

 

Christiane Kubrick: Jetzt fällt mir das wieder ein, dass ich das mal gehört habe. Ich glaube, die meisten Regisseure haben Angst davor, irgend jemand zu verletzen, wenn sie ihn im Film namentlich benutzen. Stanley wollte dann das Buch lesen. Stanley und Roman mochten sich beide sehr gerne. Wir haben uns auch öfter gesehen, Roman kam öfter zum Abendessen. Dann passierte der schreckliche Mord der Manson-Bande an seiner Frau Sharon Tate. Danach sahen wir uns bis zum Prozess immer noch, bis er schließlich nach Frankreich ging.

 

MaHa: Mit welchen Regiekollegen außer Roman Polanski und Woody Allen war er noch
befreundet?

Christiane Kubrick: ER WAR MIT WOODY ALLEN NICHT BEFREUNDET, DIE BEIDEN HABEN SICH NIE GETROFFEN. ER SCHÄTZTE SEINE FILME WIE AUCH VIELE FILME ANDERER REGISSEURE. ER STAND STEVEN SPIELBERG PERSÖNLICH NAH, DIE BEIDEN SPRACHEN VIEL AM TELEFON UND SAHEN SICH AUCH GELEGENTLICH.

 

MaHa: Was ist eigentlich aus Danny Lloyd geworden, dem Jungen aus „The Shining“?

 

Jan Harlan : Er ist Lehrer geworden.

 

Christiane Kubrick: Danny war ein ganz besonderes Kind. Stanley hatte sich für den Film vorher sehr viele Kinder auf Band angesehen. Er setzte eine Annonce in die Zeitung.

 

Jan Harlan: Es musste ein Kind sein mit amerikanischem Akzent. Leon Vitali, der in „Barry Lyndon“ Lord Bullington spielte und dann zu Stanleys persönlichem Assistenten avancierte, war in Chicago, Denver und anderen Orten und hat sich Hunderte von Kindern angesehen. Danny war erste Wahl, dann bin ich nach Illinois gefahren und habe die ersten Verhandlungen mit den Eltern geführt.

 

MaHa: Stimmt es, dass Scatman Crothers, der in „The Shining“ den Koch spielte, eine Lobeshymne auf Stanley gesungen hat?

 

Christiane Kubrick: Ja, er hat ein Lied aufgeschrieben. Die Verse habe ich auch noch irgendwo.

 

Jan Harlan: Das macht das viele Warten am Set. Beim Film gibt es ja die schöne Regel „hurry up an wait“, da lassen sich die Schauspieler schon was einfallen. Mathew Modine z.B. hat während “Full Metal Jacket” phantastische Fotos gemacht, von denen einige auch in der Ausstellung in Frankfurt und Berlin zu sehen sein werden.

 

MaHa: Mit welchen Schauspielern hätte er gerne gedreht - und es kam
nicht zustande? Felix Werner, der Sohn von Oskar Werner fand im Nachlass seines Vaters, mehrere Briefe Ihres Mannes an den unvergesslichen Wiener Akteur. Für welche Filme wollte er ihn gewinnen?


Christiane Kubrick: OSKAR WERNER WAR 1969 DURCHAUS EINE WUNDERBARE MÖGLICHKEIT FÜR DIE TITELROLLE IN „NAPOLEON“. WÄRE DER FILM DAMALS GEDREHT WORDEN, HÄTTE WOHL DER KÜRZLICH VERSTORBENE DAVID HEMMINGS DIE ROLLE GESPIELT. ODER AUCH NICHT . STANLEY WAR IMMER NOCH AM SUCHEN.

 

MaHa: Zum Film „Eyes Wide Shut“ verwendete Stanley Kubrick für die Einrichtung der New Yorker Wohnung mehrere Bilder von Ihnen, wie kam das zustande?

 

Christiane Kubrick: Stanley hat sich gedacht, man kann am wenigsten falsch machen, wenn eine Filmwohnung mit den Dingen eingerichtet ist, mit denen man sich selbst gern umgibt und die in der eigenen Wohnung stehen. Er hat also nicht nur unsere Bilder genommen, sondern auch einige Möbelstücke, die ganze Kulisse ist voll mit unseren Sachen. Selbst der Grundriss war der unserer Wohnung in New York, in der wir damals 1962 bis 1964 lebten.

Dadurch hatten wir auch keine Probleme mit den Copyrights.

 

MaHa: Frau Kubrick, wie haben Sie und Ihr Mann sich kennen und lieben gelernt?

 

Christiane Kubrick: Stanley suchte 1956 für eine Szene in „Wege zum Ruhm“ eine deutsche Schauspielerin und ihm wurde Ellen Schwiers vorgeschlagen. Als man ihm den Film „Die drei Schwestern“ zeigte, in dem ich mit ihr zusammenspielte, wollte Stanley mich für die Rolle haben und er lud mich ans Set nach Geiselgasteig ein. Es hätte allerdings noch mindestens drei Monate gedauert, bis wir uns begegnet wären, da Stanley chronologisch drehen wollte und meine Szene ganz am Ende war. Er aber erkundigte sich, wo er mich finden könnte und erfuhr von meinem Cousin Thomas Harlan an welchem Theater ich gerade spielte. Damals war gerade Karneval, und wir hatten eine kleine Aufführung auf einen dieser karitativen Bälle - und dort hat Stanley mich dann gefunden. Wir kannten uns also schon längst vor Drehbeginn.

 

MaHa: War es denn Liebe auf den ersten Blick?

 

Christiane Kubrick: Absolut... absolut! Ich wusste vorher nicht, wer er war, aber wir haben uns angelächelt und er hat mir sofort gefallen.

 

MaHa: Warum haben Sie Ihre Schauspielerkarriere nach ihrem sehr berührenden Auftritt als deutsche Kriegsgefangene in „Wege zum Ruhm“ für Ihren Mann gänzlich aufgegeben?

 

Christiane Kubrick: Ich war schon als Kind als Tänzerin ausgebildet – und die Schauspielerei war zum Geldverdienen das richtige. Ich wollte schon als kleines Mädchen Malerin werden und malte schon in der Schule Kulissen. Nach dem Krieg damit Geld zu verdienen, erschien aussichtslos. Meine Eltern fanden, dass ich mir mit dem Theaterspielen leichter ein Studium der Malerei ermöglichen könnte. Zum Film ging ich nur wegen dieses Ziels. Dann habe ich Stanley getroffen und Malerei studiert.

 

MaHa: Man könnte Ihren Mann als visuellen Poeten bezeichnen. Er hat seine filmischen Visionen auf die Leinwand gemalt.

 

Christiane Kubrick: Er hat sich sehr für Gemälde interessiert, das merkt man vor allem in „Barry Lyndon“: Er hat sich für alles Visuelle interessiert, natürlich auch für Fotos.

 

MaHa: Hatte er einen Lieblingsmaler, von dem er Bilder sammelte?

 

Christiane Kubrick: Er hat meine Bilder gesammelt. (lacht) Er mochte Matisse, Van Gogh, Picasso, Vermeer und Rafael. In „Barry Lyndon“ setzte er Reynolds und Gainsborough ein. Er schaute sich Bilder sehr lange und intensiv an.

 

MaHa: Wie würden Sie Ihren Mann vom Charakter beschreiben?

 

Christiane Kubrick: Er war ein sehr energischer Mensch, wurde schnell wütend und genauso schnell wieder friedlich. Er war immer voller Energie und sehr lebendig und vielfältig. In ihm steckte alles, es ist zu schwer, soviel in Worte zu fassen.

 

MaHa: Was für ein Familienmensch war er?

 

Christiane Kubrick: Stanley war immer ein sehr liebevoller und geduldiger Vater, er hat uns alle sehr verwöhnt. Er hat jede langweilige Arbeit, wie Bürokram oder so von uns ferngehalten. Wir mussten nichts tun, aber da sein, in seiner Nähe, das war ihm wichtig.

 

MaHa: Zog er sich zurück, wenn er arbeitete?

 

Christiane Kubrick: Nein, eigentlich nicht. Klar, er hatte sein Arbeitszimmer, aber er wurde nie nervös, wenn er von Freunden oder von der Familie unterbrochen wurde.

 

Jan Harlan: Stanley arbeitet gerne allein und konzentriert und in dem Wissen, dass
alle im Haus waren, einschließlich aller Hunde und Katzen. Er mochte es
nicht, wenn Christiane oder die Töchter weggingen.

Christiane Kubrick: Nein, weggehen war nicht gut.

 

  MaHa: Sie sagten, Stanley verbot, dass die Jagd durch sein Gebiet ging. Stimmt es dass er seine Tiere medizinisch selbst betreute? Hätte es ihn gereizt, einen Tierfilm zu machen?

Christiane Kubrick: ES WURDE BEI UNS NIE GESCHOSSEN. DAS STIMMT. DIE FÜCHSE HIELTEN DIE FASANEN UND KANINCHEN IN SCHACH. ER HAT DIE TIERE MITVERSORGT, ABER NICHT MEDIZINISCH BETREUT. WIR HATTEN EINEN TIERARZT, MIT DEM ER OFT LANGE GESPRÄCHE FÜHRTE. ER HÄTTE GERNE EINEN TIER-FILM GEMACHT, ABER ER FAND KEINE GESCHICHTE DIE IHM GEFIEL.

MaHa: Wie ist eigentlich die genaue Herkunft von Stanley Kubrick?

 

Christiane Kubrick: Österreichisch, rumänisch, russisch... Sein Gesicht sah aus; wie das von Gemälden auf byzantinischen Mosaiken, und man würde sich nicht wundern, Augen wie seine in Odessa wieder zu finden.

 

MaHa: Wobei konnte er gut entspannen? Ich habe gehört; er sah sich gerne Sport an.

 

Christiane Kubrick: Oh ja, er liebte Baseball, American Football, Boxen und Tennis. In der zweiten Wimbledon-Woche war das Büro stillgelegt.

 

MaHa: Hatte Kubrick beim Drehen bestimmte Rituale, die er befolgte?

 

Jan Harlan: Sein festes Ritual war vor allem der „lighting-test“ am Ende des Drehtages, der wurde über Nacht entwickelt, damit man am nächsten Tag gegebenenfalls korrigieren konnte.

 

MaHa: Stimmt es, dass Stanley Kubrick Flugangst hatte?

 

Christiane Kubrick: Ja, obwohl er selbst einen Pilotenschein besaß. Ein Freund von ihm, ist sehr jung mit dem Flugzeug abgestürzt. Da dieser keine Verwandten hatte, schickte man Stanley seine persönlichen Sachen aus dem verbrannten Flugzeug in einem Packet. Er hatte sich fürchterlich darüber erschrocken. Über längere Zeit entwickelte er ein Trauma und konnte irgendwann gar nicht mehr fliegen. Ihm wurde schwindlig und schlecht nur bei dem Gedanken daran, in ein Flugzeug zu steigen. Das hat ihn sehr geärgert, und er hat sich geniert, aber es hatte keinen Zweck.

 

MaHa: Bei der Warner-Vorabvorführung Anfang März 1999 von „Eyes Wide Shut“, der auch Tom Cruise und Nicole Kidman beiwohnten, war Stanley Kubrick selbst gar nicht zugegen?.

 

Christiane Kubrick: Nein, er schickte das Filmmaterial nach New York und freute sich, dass es allen gefallen hatte. Eine Woche später war er schon tot.

 

MaHa: Sein Tod kam unheimlich plötzlich. Hatte er sich schon länger unwohl gefühlt? Oder kam es für Sie auch ganz überraschend?

 

Christiane Kubrick: Stanley war sein eigener Hausarzt. Als Sohn eines Mediziners bildete er sich leider ein, viel zu wissen. Aber das war eine Illusion, und wir haben immer furchtbar mit ihm geschimpft. Uns hat er immer zu den besten Ärzten geschickt, und er selber ging nie zum Arzt.

In den letzen Wochen war er sehr müde, blass und dünn geworden, ich machte mir große Sorgen um ihn - mit Recht, wie sich herausstellte.

 

MaHa: Man sagt Kubrick oft auf Grund seiner Filme eine zynische, zumindest fatalistische Haltung nach. Können Sie das bestätigen?

 

Christiane Kubrick: Ich glaube, Stanley wollte gar nicht soviel eigene Weltansicht in seine Filme hinein bringen. An erster Stelle stand die Geschichte, die er erzählen und der er filmisch gerecht werden wollte. Wie viel da von ihm selbst unterbewusst einfloss, kann ich ihnen nicht sagen, aber ich denke sein Ideal war es, Diener der Geschichte zu sein.

MaHa: Stanley Kubrick war ja bekannt dafür, sehr wenig Interviews zu geben. Stimmt es, dass er sich vorgenommen hatte, nach „Eyes Wide Shut“ mit der Presse zu sprechen?.

 

Christiane Kubrick: Ja, das hatte vor. Die Anklagen und Tratschgeschichten gegen ihn waren so idiotisch und so vollkommen erfunden, dass er es für gut hielt, etwas über sich schreiben zu lassen, um das ein wenig richtig zu stellen. Das Ganze machte ihn allerdings sehr kribbelig.

 

MaHa: Wie, glauben Sie, entstehen solche Gerüchte? Kommen die Menschen nicht damit zurecht, wenn sich jemand rar macht und nicht auf den üblichen Partys erscheint?

 

Christiane Kubrick: Ich weiß nicht. Die Menschen interessieren sich für Dinge, die überhaupt nichts mit dem Film zu tun haben. Das liegt wohl an unseren heutigen Zeiten. Besonders durch das Internet will man alles ganz genau herausbekommen. Nicht nur welchen Film macht er, sondern welchen Pullover trägt er, mit wie viel Frauen war er zusammen, welche Zahnbürste benutzt er? Die Neugierde auf die langweiligsten Einzelheiten ist wohl eine Art Zeitkrankheit.

 

MaHa: Warum kommunizierte Stanley Kubrick vorderrangig mit seiner Umwelt per Telefon?

 

Christiane Kubrick: Stanley hatte ein Telefoniertalent und hat sich gerne am Telefon mit Menschen unterhalten, in geschäftlichen Dingen besonders, weil er genau bei der Sache bleiben konnte und durch nichts abgelenkt war. Er ist schon vor dem Handy gestorben. Jetzt kann man überall erreicht werden, so dass die Gespräche meist ganz unkonzentriert geführt werden. Morgens und abends setzte er sich mit seiner Liste hin und telefonierte dann gerne sehr lange. Er hatte dadurch ein ungeheuer großes Netz ausgeworfen auf allen Gebieten und war auch immer sehr behilflich. Wenn jemand ein Autounglück hatte, wusste er genau wie man das in Ordnung bringt. Das war eine Organisierbegabung. Er hatte sicher auch mehr Telefonnummern als die meisten Menschen.

 

   
MaHa: In "2001 – Odyssee im Weltraum" sind die Außerirdischen eine Art von materielosen „Lichtgestalten". Glaubte Stanley Kubrick, wie in einem Interview aus dem Jahr 1970 zu lesen war, daran, dass Menschen oder andere Lebewesen im Lauf der Zeit, ihre Körper - eventuell mit der Hilfe von Maschinen - überwinden könnten, um sich in materielose Intelligenzen zu verwandeln? Sprach er mit Ihnen über solche Themen?

Christiane Kubrick: DAS IST VIEL ZU KONKRET GEFRAGT UND NIEMALS WÜRDE STANLEY GESAGT HABEN, DASS ER GLAUBE, DASS WIR EINES TAGES MIT HILFE VON MASCHINEN UNSERE KÖRPER IN MATERIELOSE INTELLIGENZ VERWANDELN KÖNNEN. WENN MAN FANTASIEN UND LUFTGESPINSTE SO AUSDRÜCKT, ZERPLATZEN SIE WIE SEIFENBLASEN.
  
MaHa: Bei der Reise des von Keir Dullea verkörperten Astronauten David Bowman in "2001 – Odyssee im Weltraum" durch den Lichttunnel, sieht der Betrachter durch seine Augen die Entstehung und das Vergehen von ganzen Galaxien. Sie erzählten mir einmal, dass Sie dafür zusammen mit chemischen Substanzen und Farben experimentierten. Um was für Prozesse handelte es sich dabei?


Christiane Kubrick:  IN EINEM NEW YORKER "LOFT", DASS VORMALS EINE EHEMALIGE KORSETTFABRIK WAR, PROBIERTEN WIR IN EINER GROSSEN DUNKELKAMMER MIT BASIERTEN TINTEN. ES WURDE GETROPFT UND GESPRÜHT UND GERÜHRT AUS VERSCHIEDENEN HÖHEN UND MIT WECHSELNDEM DRUCK. ES HAT ZIEMLICH LANGE GEDAUERT UND WAR EINE STINKENDE SAUEREI, ABER ES WAR AUCH SPANNEND. ALLES WURDE GANZ HELL BELEUCHTET, DIE FLÜSSIGKEIT WAR SCHWARZ UND DER FILM LIEF SEHR SCHNELL UND WURDE DANN WIEDER LANGSAM GEZEIGT.  


MaHa: War Stanley Kubrick religiös? Glaubte er an eine Existenz nach dem Tod?
Das "Star Child" in "2001 – Odyssee im Weltraum“ deutet zumindest auf eine Wiedergeburt
hin.

Christiane Kubrick: AUF KEINEN FALL RELIGIÖS, SO WIE DAS IM ALLGEMEINEN VERSTANDEN WIRD. NEIN, ER WAR EIN AGNOSTIKER. MIT ANDEREN WORTEN: ER WAR ÜBERZEUGT, DASS WIR NICHT WISSEN KÖNNEN, WAS HINTER DEM FÜR UNS WAHRNEHMBAREN STEHT. ER WAR VOLLER RESPEKT GEGENÜBER DEM, WAS WIR EBEN NICHT WISSEN KÖNNEN, UND ICH DENKE, DASS DAS IN „2001 - ODYSSEE IM WELTRAUM“ ZUM AUSDRUCK KOMMT. EVOLUTION UND SCHÖPFUNG SIND JA KEINE WIDERSPRÜCHE.
  
MaHa: Glauben Sie selbst an ein Leben nach dem Tod?

Christiane Kubrick: ICH WEISS NICHT, WAS ICH GLAUBE. ICH LASS MICH ÜBERRASCHEN.  
  

MaHa: Gibt es nach der Ausstellung weitere Stanley-Kubrick-Projekte?

Christiane Kubrick: ZWEI GROSSE BÜCHER MIT DEM TASCHEN VERLAG SIND IN ARBEIT. EIN BUCH ÜBER SÄMTLICHE FILME MIT GROSSEN ABBILDUNGEN UND VIEL ZUSÄTZLICHEM MATERIAL UND EIN WEITERES BUCH ÜBER DAS „NAPOLEON“-PROJEKT, ZU DEM WIR ÜBER 18000 ABBILDUNGEN, DAS DREHBUCH, DAS TREATMENT UND DIE PLÄNE HABEN. ZUDEM
WIRD DIE DVD-COLLECTION MIT WEITEREM ZUSATZMATERIAL VON WARNER BROS. NEU HERAUSGEBRACHT. ANTHONY FREWIN ARBEITET AN ZWEI WEITEREN BÜCHERN - EINES ÜBER DIE VIELEN FOTOS DIE STANLEY FÜR „LOOK“ GEMACHT HAT UND EIN WEITERES ÜBER INTERVIEWS MIT WISSENSCHAFTLERN AUS DEN JAHREN DER
VORARABEIT ZU „2001 - ODYSSEE IM WELTRAUM“.  

Das Gespräch führte Marc Hairapetian am 16. März 2004 in Childwickbury.

The SPIRIT meets Christiane Kubrick (16. 3. 2004, Foto: Mona El-Khansa)