„Einfach nur da sein“

Tom Cruise im Interview über seinen neuesten Film „Collateral“, Scientology und seine Kinder


Von Marc Hairapetian

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Marc Hairapetian: Fast zwei jahrzehntelang verkörperten Sie den aufrechten Sonnyboy des amerikanischen Films. Mit ihrer in der Kritik seinerzeit leider arg unterschätzten Darstellung des eifersüchtigen Ehemannes in Stanley Kubricks finalem Epos „Eyes Wide Shut“ bekam diese Fassade erstmals Risse und in Michael Manns „Collateral“ sind sie als Auftragskiller endgültig in die Rolle des „bad guy“ geschlüpft. Was hat sie gereizt, ihrem alten Helden-Image ade zu sagen?

Tom Cruise: Es freut mich natürlich, was Sie über mein Spiel in „Eyes Wide Shut“ sagen. Der Arzt Bill Harford, der sich aus Eifersucht nächtens auf die Suche nach erotischen Eskapaden macht, war von Stanley absichtlich als sehr passiver Charakter angelegt. Es war nicht einfach, das zu spielen, aber bis heute ist es die größte Herausforderung meiner Karriere geblieben. Der Film ist für mich auch ohne mein Zutun ein Meisterwerk – und es ist unendlich traurig, dass Stanley, der immer mein Idol war, seine Premiere nicht mehr erlebt hat. Ich trug bei seiner Beerdigung den Sarg und bin mit seiner Familie nach wie vor eng befreundet. Bill war bereits ein ambivalenter Charakter und es gibt die weitere Gemeinsamkeit des nächtlichen Abenteuers, doch er ist ein Waisenknabe gegen Vincent. Allerdings interessiert es mich im Grunde genommen nicht, ob eine Rolle gut oder böse ist. Ich will gute Geschichten erzählen, und wenn man mit einem so großartigen Filmemacher wie Michael Mann arbeiten darf, weiß man als Schauspieler, dass man keine eindimensionale Figur spielen wird. Vincent ist nicht nur böse, er ist auch sehr ironisch. Er ist zwar ein eiskalter Killer, aber der Reiz bestand darin, ihn so vielseitig wie möglich zu interpretieren. Es macht ehrlich gesagt auch mehr Spaß, das Böse zu verkörpern, gerade, wenn man jahrelang „die Guten“ gespielt hat.

MaHa: Michael Mann designte höchstpersönlich ihr Killer-Outfit. Er machte sie zudem wesentlich älter. War es für Sie ungewohnt, mit grauen Haaren und Stoppelbart auf der Leinwand zu agieren?

Cruise: Das schon, aber es passte einfach zum Charakter. Er ließ mein Haar mehrfach umfärben, bis er den richtigen grauen Haar-Ton fand. Das war eine ganz schöne Tortur, aber so ist das Leben. (lacht) Wir alle werden älter und verändern uns äußerlich. Michael meinte, mit diesem Aussehen würde ich als Killer glaubwürdiger und erschreckender aussehen. Sogar die Farbe meines Anzugs, den ich im Film trage, hat er ausgesucht. Wenn es um solche Details geht, macht ihm keiner etwas vor. Sein Blick auf Los Angeles durch die Fensterscheiben eines Taxis ist trotz „Taxi Driver“ in der Filmgeschichte einzigartig. Das nächtliche Los Angeles – bedenken Sie, der Film spielt innerhalb einer Zeitspanne von zehn Stunden - ist der eigentlicher Star. Wie er das Licht mit hochempfindlichen Digitalvideokameras bestimmt, lässt den Vergleich mit einem impressionistischen Maler zu. Er schafft damit eine atmosphärisch dichte Stimmung aus Abend- und Morgengrauen.

MaHa: Sie bereiten sich immer besonders sorgfältig auf ihre Rollen vor. Wie war es diesmal?

Cruise: Zuerst sah ich mir einige Filme über Profikiller an, darunter Melvilles „Der eiskalte Engel“ mit Alain Deloin. Dessen einsam-melancholische Ausstrahlung bei der Verrichtung seines grausamen Geschäfts faszinierte mich sehr. Außerdem nahm ich Schießunterricht – und zwar mit scharfer Munition, um ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, wie das Verhältnis eines Profikillers zu seiner Waffe ist.

MaHa: Sie umgeben sich immer wieder mit perfektionistisch veranlagten Regisseuren. Sehen Sie sich selbst als Perfektionist?

Cruise: Ich bin zumindest obsessiv – es muss nicht alles perfekt sein, auch wenn ich auf Tugenden wie Gewissenhaftigkeit und Pünktlichkeit wert lege.

MaHa: Bisher sind sie als Schauspieler und Produzent in Erscheinung getreten, Würde es Sie auch reizen, einmal selbst Regie zu führen?

Cruise: Ich beschäftige mich in der Tat schon länger mit diesem Gedanken, aber noch habe ich das richtige Projekt nicht gefunden. Ich sehe mich in erster Linie als Schauspieler, der eine Rolle ausfüllen will und dafür sein Bestes gibt. Aber wer weiß, vielleicht kommt eines Tages der Film, wo ich mir sage: Den musst Du selbst inszenieren.

MaHa: Haben Sie eigentlich jemals Ihre deutschen Synchronstimmen, Stefan Schwarz und Patrick Winczewski, persönlich getroffen?

Cruise: Leider nein, ich habe mir nur sagen lassen, dass sie bei sehr gut sind und meiner wirklichen Stimme sehr nah kommen. Die Synchronisation ist für den deutschen Markt sehr wichtig.

MaHa: Stimmt es, dass sie derzeit mit ihrer Schwester Lee Anne und deren Kinder zusammen wohnen?

Cruise: Ja, wir haben schon immer ein sehr enges Verhältnis zueinander gehabt. Ihre Kinder sind wie meine. Ich sage immer: Ich habe fünf Kinder. Die drei meiner Schwester und natürlich die beiden, die ich mit Nicole Kidman adoptierte.

MaHa: Wie häufig sehen Sie diese denn nach der Trennung von Nicole Kidman?

Cruise: Sehr häufig, doch für meinen Geschmack natürlich noch zu wenig, obwohl ich dazu sagen muss, das Nicole und ich inzwischen eine sehr faire Umgangsregelung gefunden haben. Ich liebe Isabella und Connor über alles. Sie sind wirklich wunderbar. Ihrem Wunsch entsprechend wollen wir demnächst wieder gemeinsam in den Urlaub fahren. Nicole und ich diskutieren nicht über unsere Kinder in der Öffentlichkeit, dafür wird sicher jeder, der selbst Kinder großzieht, Verständnis haben. Nur noch soviel dazu: Eine Scheidung ist natürlich sehr schmerzhaft, vor allem für die Kinder, die das ja in keiner Weise gewollt haben. Und auch die Partner haben ja nicht den Bund der Ehe geschlossen, um sich eines Tages wieder zu trennen. Doch Dinge entwickeln sich anders, als man denkt. Das Wichtigste ist, dass Kinder nach der Trennung der Eltern weiterhin das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie von Mutter und Vater geliebt werden. Sie müssen besonders geliebt und behütet werden. Dabei darf ihre Entwicklung zu einem selbstständigen Menschen nicht aus egoistischen Gründen eines Elternteils determiniert werden. Nicole stimmt da mit mir 100%ig überein. Für beide Elternteile gilt: Man muss einfach nur für seine Kinder da sei, egal unter welchen Umständen..

MaHa: Sie gelten als einer der publikumsfreundlichsten Hollywoodstars. Hier ein Autogramm, dort ein gutes Wort. Nervt es Sie nicht aber, dass Sie andauernd von Paparazzis verfolgt werden, die jeden privaten Schritt ablichten wollen?

Cruise: Als Vincent würde ich sagen: Schade, dass man sie nicht erschießen kann, weil sie sich so flink bewegen. Aber Spaß beiseite: Die meisten Fotografen sind sehr höflich, doch es gab auch schon mal gefährliche Situationen, als ich mit meinen Kindern unterwegs war. Ich bin jemand, der gern auf Menschen zugeht, sich fotografieren lässt und Autogramme gibt. Aber es ist natürlich etwas völlig anderes, wenn ich mit Isabella und Connor zusammen bin. Glücklicherweise sind 99 Prozent aller Fotografen einsichtig, wenn ich ihnen sage, dass sie gerade eine Grenze überschreiten.

MaHa: Wie viel Einfluss hat Ihre Scientology-Angehörigkeit auf die Entwicklung Ihre Karriere gehabt?

Cruise: Großen. Ohne Sie hätte ich nicht den Erfolg, den ich jetzt hätte.

MaHa: Konkreter gefragt: Hat Ihnen Scientology auch dazu verholfen, Hauptrollen in wichtigen Filmen zu ergattern, wie häufiger gemutmaßt wurde?

Cruise: Nein, natürlich nicht. Wie sollte das auch gehen? Scientology gab mir nur das Rüstzeug mit, meine beruflichen und privaten Pläne besser zu verwirklichen, in dem ich hart an mir arbeite. Ich weiß, dass viele Scientology skeptisch gegenüber stehen. Wer wirklich wissen will, um was es genau geht, sollte einfach das Buch „What is Scientology?“ lesen, da steht alles drin. Ich kann und will niemand missionieren.

MaHa: Sie waren in letzter Zeit häufiger in Berlin. Können Sie schon etwas Deutsch sprechen?

Cruise: Es reicht leider nur zu "Dankeschön' und "Ich bin ein Berliner' (sagt es im Kennedy-Tonfall). Ich mag die Berliner wirklich, die mir bisher überall sehr freundlich und hilfsbereit begegnet sind. Sie kommen mir auf der Straße entgegen und haben immer ein nettes Wort übrig. In den USA sind die Leute dagegen meist cooler, suchen nicht den direkten Kontakt.

MaHa: „Mission Impossible: 3“ sollte bereits dies Jahr unter anderem in Berlin gedreht werden. Warum verzögert sich der Produktionsbeginn immer wieder?

Cruise: Wie Sie vielleicht wissen, habe ich meinen alten Regisseur verloren. Der neue, J. J. Abrams, hat erst im nächsten Jahr Zeit, so dass wir das ganze Projekt verschieben müssen. Berlin wird allerdings definitiv einer der Drehorte bleiben.

MaHa: Auch wenn Sie keine Genehmigung für einen Dreh in der Reichstagskuppel erhalten?

Cruise: Durch die Terminverschiebung ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Stadtverwaltung hat sicherlich ihre Gründe dafür und das sollte man respektieren. Doch ich gebe nicht auf. Ich will unbedingt am Originalschauplatz drehen, oder können Sie sich eine digitalisierte Reichstagskuppel vorstellen, in der ich herumtobe?

MaHa: Was sind Ihre weiteren Pläne?

Cruise: Ich wäre schön dumm, wenn ich mir die Chance entgehen lassen würde, nicht noch einmal mit Michael Mann zu drehen: Unser nächstes Projekt wird den Titel „The Few“ tragen. Ich spiele einen Kampfpiloten im Zweiten Weltkrieg und drehe unter fachkundiger Anleitung in meiner Freizeit schon einige Loops mit einer alten Cessna. Davor nehme ich mit Steven Spielberg „The War of the Worlds“ in Angriff. Drehbeginn ist im November. Es wäre interessant, was der Visionär H. G. Wells dazu sagen würde, wenn er den fertigen Film sehen könnte. Gerne würde ich auch mal wieder in einer Komödie mitspielen und Steven, der in letzter Zeit ja viele ernste Filme gemacht hat, hätte bestimmt die richtige Hand dafür.

Das Interview mit Tom Cruise kam auf unorthodoxe Weise zustande. Nach der „Collateral“-Pressekonferenz im Berliner Meistersaal sprach unser Mitarbeiter, der ebenfalls mit den Kubrick-Angehörigen bekannt ist, Tom Cruise auf die Zusammenarbeit mit dem 1999 verstorbenen Meisterregisseur Stanley Kubrick bei „Eyes Wide Shut“ an. Da schickte Cruise, der eine lange Minute ein mitgebrachtes Foto von Marc Hairapetians fünfjährigen Tochter Ribana-Siranoush anblickte („She is so beautiful!“), seine Bodyguards weg und hockte sich zum Gespräch über Berufliches und Privates auf den Parkettboden der Bühne.