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Das Leben des Anderen

Interview mit Robert De Niro über seinen neuesten Film „Der gute Hirte“, CIA, den Kalten Krieg, die Arbeit als Regisseur und das Geheimnis seiner Schauspielkunst

 

Von Marc Hairapetian

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Marc Hairapetian:Herr De Niro, sie sind ein häufiger Berlinale-Gast. Was gefällt Ihnen an dem Festival?

Robert De Niro: In erster Linie die Stadt. Ich war bereits als Kind häufiger hier, auch im damaligen Ost-Berlin. Diese Stadt entwickelt sich rasant schnell weiter bzw. erfindet sich bei aller Tradition ständig neu. Von dieser Spontanität zehrt auch die Berlinale. Ich bin gerne hier. Mein Terminkalender ist zwar voll mit Geschäftsterminen, aber Zeit für ein bisschen Spaß und private Gespräche bleiben.

Hairapetian: Ihr Film „Der gute Hirte“ läuft im Wettbewerb. Rechnen Sie sich Chancen auf einen Preis aus?

De Niro: Erst einmal ist es eine große Ehre für mich, dass wir mit dieser Produktion zur Berlinale eingeladen wurden. Alles Weitere muss man abwarten. Wie sie vielleicht wissen, blieb der Film in den USA vom Einspielergebnis hinter dem 85 Millionen Dollar-Budget zurück, und ich bin gespannt, wie ihn die Leute in Europa, die sich mehr für Kino mit Inhalten begeistern, annehmen werden.

Hairapetian: Trotz Festival-Präsenz gelten sie als schüchtern und meiden all zu großen Rummel...

De Niro: Ich brauche keine großen Studioparties mehr, man kann auch gemütlich zusammen einen Kaffee trinken, um mit interessanten Menschen zu sprechen. Ich bin auch keine 30 mehr – und muss mich nicht mehr mitten ins Getümmel stoßen. Ich lebe mein Leben und dazu gehört auch die Privatsphäre.

Hairapetian: „Der gute Hirte“ war ursprünglich ein Projekt des 2002 verstorbenen Regisseurs John Frankenheimer. Wie kamen Sie dazu?

 De Niro: John selbst gab mir das Skript, während ich an einem anderen Drehbuch arbeitete. Doch nachdem ich „Der gute Hirte“ gelesen hatte, wollte ich unbedingt dabei sein. Wir einigten uns darauf, dass John Regie führen und ich mitspielen sollte – und dass ich später einen zweiten Teil selbst inszenieren sollte. Leider starb dann John. Außerdem dachte ich, dass nach dem 11. September es schwierig sein würde, den Film zu machen. Doch zum Glück begann sich das Interesse in Hollywood neu zu entfachen und auf einmal stand ich da mit der Regie.

Hairapetian: Glauben Sie, dass der CIA nach dem 11. September Fehler gemacht hat?

De Niro: Ja, klar, alle haben Fehler gemacht. Hinweise dafür gibt es genug. Doch das wäre ein neuer, eigenständiger Film.

Hairapetian: Warum wird die große Geschichte des CIA, der sich selbst als Familie bezeichnet, aus Sicht nur eines Mannes, hier in diesem Fall Matt Damon als Edward Bell Wilson, geschildert?

De Niro: So steht es im Drehbuch... Nein, Scherz beiseite. Wir haben überlegt, John Turturro die Geschichte aus seiner Sicht erzählen zu lassen und als Voice-Over-Stimme einzusetzen. Doch die Idee ließen wir wieder fallen. Es hätte zu sehr an „Good Fellas“ erinnert.

Hairapetian: Stimmt es, dass Leonardo Di Caprio zuerst für die Rolle vorgesehen war?

De Niro: Ja, das ist richtig. Er selbst meinte aber, dass Matt Damon viel besser für diesen Part geeignet wäre.

Hairapetian: Ist „Der gute Hirte“ eine Kritik über Grenzen der Macht?

Robert De Niro: Ich glaube nicht, dass es ein Film ist, der Grenzen der Macht kritisieren will – er zeigt sie auf. Ich fand das Drehbuch toll, es war sehr umfassend. Leider musste ich einige Szenen beim Schneiden herausnehmen, so war auch eine längere Iran-Sequenz dabei. Ich versuche die Dinge als Bürger der USA so ehrlich und gerade heraus zu schildern, wie ich sie empfinde. Wer es sieht, muss selber entscheiden, ob er mit dieser Sicht einverstanden ist.

Hairapetian: Sehen Sie Parallelen zu „Der Pate“ und „Es war einmal in Amerika“?

 De Niro: In gewisser Hinsicht schon. Francis Ford Coppola und Drehbuchautor Eric Roth begannen vor gut 13 Jahren mit dem Projekt, dann kam es zu anderen Regisseuren und zuletzt zu John Frankenheimer, der sicher auch einen fantastischen Film daraus gemacht hätte. Natürlich sehe ich Parallelen zu Francis’ „Der Pate“. Beide Filme handeln von Geheimbünden, Mafia wie CIA sind eine Familie, aus der man nicht mehr herauskommt, wenn man sich auf sie eingelassen hat. „Der gute Hirte“ ist natürlich viel amerikanischer. Meine Lieblingszene in dem Film ist, wenn der Italiener Joe Pesci den Amerikaner Matt Damon erzählt, dass jede Nation oder Religion etwas besitzen würde, woran sie sich halten könnte. Die Italiener hätten beispielsweise die Famile und Kirche, die Iren ihre Heimat und die Juden ihre Tradition. Und dann fragt er Matt ganz unverblümt: „Und was haben ihre Leute?“ Dieser antwortet: „Die Vereinigten Staaten von Amerika – und ihr seid nur zu Gast hier.“ Tatsache ist aber, dass italienische Familien – auch bei der Mafia – besser funktionieren als die von Matt in „Der gute Hirte“. Zu „Es war einmal in Amerika“: Vom Stilistischen habe ich mir bei meinem großen Lehrer Sergio Leone natürlich auch etwas abgeguckt. Aber so gut wie er bin ich als Regisseur natürlich nicht.

Hairapetian: Warum haben Sie sich für ihre dritte Regiearbeit – nach „Geschichten aus der Bronx“ (1993) waren Sie bei „The Score“ ja 2001 incognito Regisseur - wieder einen Film mit dem Thema „Geheimbünde“ ausgesucht?

De Niro: Ganz einfach, weil ich das am besten kann und über Dekaden in solchen Filmen mitgespielt habe. Mich interessieren natürlich auch ganz andere Geschichten – von Shakespeare bis zu Science fiction. Doch da muss ich erst einmal ein gutes Drehbuch bekommen. So etwas kann ich nicht selbst entwickeln – ich kann es nur versuchen umzusetzen, als Schauspieler mehr noch wie als Regisseur.

Hairapetian: „Der gute Hirte“ zeigt die Arbeit des CIA und anderer Geheimdienste als eine Art schmutziges Geschäft. Gab es weitere Filme, die sie inspirierten?

De Niro: Eines vorweg: Ich mochte früher die James-Bond-Filme zur Entspannung sehr gerne. Aber so funktioniert kein Geheimdienst. Es gab ein Vorbild für „Der gute Hirte“. Ich bin ein großer Film von John Le Carré und finde auch Martin-Ritts-Adaption „Der Spion, der aus der Kälte kam“ hervorragend. Richard Burton spielt darin die Rolle seines Lebens. Dieses Aufsichgestellt-Sein und Niemanden-trauen-können wollte ich als Kind des kalten Krieges ebenfalls zeigen. Doppel-Agent Burton hat im Film keine Familie, lediglich seine von Claire Bloom verkörperte kommunistische Freundin versucht er bei dem Geheimprozess in der DDR zu schützen. So wie es Matt Damon in „Der gute Hirte“ mit seiner Frau und seinem Sohn tut. „Der Spion, der aus der Kälte kam“ ist großartig besetzt. Ich mochte auch Oskar Werner sehr gerne, der als fanatischer jüdischer Abwehrmann Fiedler den von Burton gespielten Leamas bei den Verhören Sympathie, ja, fast Freundschaft entgegenbringt, und für diese Menschlichkeit am Ende mit dem Leben bezahlen muss. Werner hat auch mal was sehr zutreffendes gesagt: „Acting is a phony profession without manifestation behind it.“

Hairapetian: Auch ihre Besetzung ist bis in die kleinsten Nebenrollen hochkarätig. Warum haben sie Martina Gedeck ausgewählt?

De Niro: Sie ist mir empfohlen worden als exzellente Charakter-Schauspielerin. Ich habe mir dann einige Filme von ihr angesehen und bin besonders von „Das Leben der Anderen“ begeistert. Auf der Berlinale-Pressekonferenz bin ich gefragt worden, ob ich Martin Scorsese die Daumen drücke, den Oscar als bester Regisseur zu gewinnen. Natürlich tue ich das. Und für den besten Auslandsfilm halte ich zu „Das Leben der Anderen“, obwohl mit „Pan’s Labyrinth“ die Konkurrenz sehr stark ist. Nachdem ich mir also einiges Material von Martina angesehen habe, trafen wir uns in London. Sie ist eine sehr intelligente Schauspielerin, und wir hatten bei aller Konzentration viel Spaß am Set. Sie verkörpert die Einsamkeit im Film – und für Matt Damon ist es die letzte Chance in seinem von Selbstbeherrschung getriebenen Dasein als CIA-Mann, etwas über sich zu erfahren, was er lange unterdrückt hat. Das Gefühl, sich fallen lassen zu können.

Hairapetian: Keir Dullea, der den Astronauten David Bowman, in Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ spielte, haben Sie für das große Kino reaktiviert. Wie kam es dazu?

De Niro: Er war einfach der beste für die Rolle von Angelina Jolies Vater, Senator John Russel, Sr. Er hatte Zeit und wollte es machen. Also habe ich mich gefreut, mit ihm zusammen zu arbeiten. Als ich noch ein ganz junger Schauspieler war, griff er - nicht wesentlich älter - bereits nach den Sternen. Nicht nur bei Kubrick war er phantastisch, sondern auch im Zusammenspiel mit der viel zu früh verstorbenen Janet Margolin in dem Autismus-Drama „David und Lisa“. Er hat etwas Edles und Aristokratisches. Dennoch kann er auch sehr gut neurotische und zwanghafte Charaktere spielen. Er sieht jünger aus als ich, also warum sollte man ihn nicht besetzen?

Sich selbst haben Sie in „Der gute Hirte“ als CIA-Chef General Bill Sullivan im Hintergrund auch eine kleine Rolle gegönnt...

De Niro: Das war aber keine Koketterie. Ich war sogar noch nicht mal besonders erpicht, selbst Regie zu führen. Deswegen habe ich auch immer wieder Matt Damon, Kameramann Bob Richardson, Autor Eric Roth und den Drehbuch-Supervisor um Rat gefragt. Als ich niemanden für die kleine Rolle des CIA-Chefs fand, überlegte ich, ob ich das selbst machen könnte. Ich wollte ihn als von Krankheit gezeichneten, alten Mann darstellen, der trotzdem autoritär und gefährlich wirkt. Zudem konnte ich die Gage, die ich für diesen Part erhielt, in die Arbeit als Regisseur zurückgegeben und sie somit in den Film investieren.

Hairapetian: Stimmt es, dass Sie sich angeblich neun Jahre auf den Film vorbereitet haben?

De Niro: Ich habe tatsächlich lange überlegt, wie man den Film machen könnte und über die, Besetzung und Drehbuch-Veränderungen nachgedacht. Doch wie Sie wissen, habe ich selbstverständlich auch andere Dinge gemacht und mein Leben weiter geführt.

Hairapetian: Schaut der Schauspieler De Niro beim Drehen dem Regisseur De Niro über die Schulter?

De Niro: Sagen wir es so: Als Schauspieler will man gerne mit einem Regisseur arbeiten, der auch Schauspieler ist. Das ist ein gutes Sicherheitsnetz. Den Eindruck vermittelten mir auch meine Schauspielerkollegen am Set. Ich hoffe, dass es nicht nur Höflichkeit war, wenn sie sich wohl fühlten wie bei einem „guten Hirten“... (lacht)

Hairapetian: Würden Sie dann Ende des Filmes angedeuteten tragischen Folgen reizen, eine Fortsetzung zu drehen?

 De Niro: Ja, unbedingt. Ich würde gerne die CIA-Periode von 1961 bis 1989 und ihre Auswirkungen auf Deutschland mit dem Bau der Mauer gerne beschreiben, aber auch die Zeit von 1989 bis jetzt. Doch erst einmal kommt der Fantasy-Film „Stardust“, indem ich als Captain Shakespeare eine Nebenrolle spiele, in die Kinos. Und es gibt noch eine Menge anderer Projekte, die mich reizen, über die ich jetzt aber nicht sprechen mag.

Hairapetian: Ist die Geschichte vom „guten Hirten“ relevant für heute?

 De Niro: Ich glaube schon. Früher dachte ich: Wenn der Kalte Krieg enden würde, was kommt dann Neues? Jetzt haben wir Kernwaffen und viele Länder, die Zugang dazu haben und Zugang dazu haben werden. Das gibt bei aller „Globalisierung“ neue Spannungen zwischen Systemen und Kontinenten. Der Film ist eben nicht nur eine Geschichte über den CIA, sondern sich auch zu entscheiden. Ob es nun den von Matt subtil gespielte Edward Bell Wilson ist, der als Lyrikstudent begonnen hat und zum CIA-Mann wird, oder George W. Bush handelt. Leute in solchen Positionen werden doch getrieben vom Apparat. So funktioniert, gewinnt, aber scheitert auch die amerikanische Gesellschaft.

Hairapetian: Der Schauspieler Christian Brückner leiht Ihnen in den deutschen Fassungen seit Jahrzehnten sein Timbre und hat sie auch in „Der gute Hirte“ wieder gesprochen. Erkennen Sie sich stimmlich in ihm wieder?

De Niro: Ich habe Christian einmal in New York, wo er mich aufsuchte, getroffen. Doch wenn ich ehrlich sein soll, habe ich noch keine einzige seiner Synchronisationen gehört. Er wird es wohl gut machen, wenn er über 30 Jahre dabei ist.

Hairapetian: Martina Gedeck sprach vom Geheimnis Ihrer Schauspielkunst, das alle mitreißen und verzaubern würde. Können Sie es selbst erklären?

De Niro: Das Schöne an meinem Beruf ist, dass man in das Leben eines anderen schlüpfen kann, ohne den Preis dafür zu zahlen. Meine Eltern waren beide sehr mit der Malerei beschäftigt. Sie waren wirkliche Künstler, Als Schauspieler ist man zwar kreativ, aber doch auch reproduzierend. Deswegen fällt es schwer zu erklären, warum man etwas gerade so oder so gespielt hat. Man fühlt es eben, dass es richtig sein muss. Ich stehe bei anderen Kollegen auch oft vor einem Rätsel und frage mich: Wie, zum Teufel, hat er das gemacht? Ein Künstler gibt sein Werk an die Welt. Sie sehen vielleicht ganz andere und sogar bessere Sache darin wie ich. Ich kann mich nicht selbst interpretieren. Das können nur Sie: Ob bei „Der gute Hirte“ oder in Bezug auf meine anderen Filme.

Das Interview führte Marc Hairapetian.