„Bevor irgendetwas knickt, knicke ich lieber selber“

Franka Potente rennt nicht vom deutschen zum internationalen Erfolg – sie sprintet. Nach der „Bourne Identity“ mit Matt Damon übernimmt die 29jährige in „Blueprint“ (Kinostart: 1. Januar 2003) gleich beide Hauptrollen: die der Starpianistin Iris Sellin und ihrer geklonten Tochter Siri. Im Interview spricht sie u.a. über Karriere, Familienbande, analytisches Denken, die Gefahren des Klonens und eigene Schwierigkeiten mit der Filmbranche.

von Marc Hairapetian

 

Marc Hairapetian: Haben Sie sich zur Vorbereitung von „Blueprint“ den Film „Meine liebe Rabenmutter“ mit Faye Dunaway, die die Rolle der Joan Crawford verkörperte, angesehen? Sie spielen ebenfalls eine Mutter, die - unabhängig von dem Klon-Hintergrund ,- ihre Tochter ganz nach ihren Vorstellungen formen will.
Franka Potente: Obwohl ich den Film kenne, habe ihn mir aber nicht extra für „Blueprint“ noch einmal angesehen. Es gibt ja einige Filme über den ewigen Mutter-Tochter-Konflikt. Allerdings muss ich auch zugeben, dass der Klon-Aspekt allein nicht der Grund war, die Doppelrolle anzunehmen. Klonen kann ich ja auch nicht darstellen, sondern nur Ambivalenzen in der Beziehung zwischen den beiden Frauen.
MaHa: Auch wenn Sie für Ihre Darstellung(en) der Klon-Aspekt nicht sonderlich interessiert hat, drängt sich die Frage auf, wie Sie zu dieser Thematik stehen. Ist es ein Eingriff in die Schöpfung?
Potente: Es ist nicht so, dass mich das Thema grundsätzlich nicht interessiert, aber es ist nicht interessant für mich in der Arbeit. Ich kann nur zwei Menschen zeigen, die eine große Schnittmenge haben, die aber in Wirklichkeit ganz unterschiedlich sind. Ich habe mir beim Drehen immer ein Schaubild vorgestellt: Iris und Siri sind wie ein Mensch mit zwei Köpfen, der sich irgendwann zerreißt. Die Mutter ist zwar das Original, doch ich wollte sie künstlicher als die Kopie herstellen. Jemand, der sich bis zum Exzess stilisiert und als Kunstfigur gefällt, also eine völlig egomanisch-narzißtische Person. Sie meint, sie muss ein Ebenbild klonen, weil sie sieht, dass sie selber langsam verfällt. Bei der Tochter habe ich mir gedacht, als sie erfährt und damit leben muss, dass sie geklont wurde: Das ist so, als ob Dir jemand eine unglaubliche Neuigkeit überbringt und sagt „Du bist zwar unheilbar krank, aber mach was daraus!“ Das Ganze wirft so viele verwirrende Fragen auf und beantwortet letztendlich auch, was zerrissen in einem war. Siri fällt dadurch in ein tiefes schwarzes Loch, weil sie ihrer einzigen Bezugsperson, die sie jemals gehabt hat, nicht mehr vertrauen kann. Sie stellt die ganze Welt in Frage, und da taucht zunächst eine reine Klon-Debatte nicht auf. Man kann es ja nur von innen beleuchten: Wenn man selbst ein Klon ist, muss man damit erst einmal klar kommen. Um jetzt auf diese Thematik zu kommen: Ich habe wie wohl die meisten Menschen, schon als Reflex die natürliche Reaktion moralisch-ethisch zu sagen: Nein, finde ich pervers und widernatürlich; aber wenn man auf bestimmte Aspekte wie mögliche Heilung von Krankheiten anspielt, ist es wiederum gar nicht so einfach. Ich persönlich habe allerdings das Vertrauen nicht, dass man es trennen kann. Selbst wenn man ethische Ausschüsse bildet, die die Klon-Technologie kontrollieren sollen, und Parameter festlegt, wie weit man gehen kann, bleibt bei mir das mulmige Gefühl, dass dies in Wahrheit nur ein Deckmantel ist, um es doch zu tun. Wenn ich bestimmte Tiere oder Organe klonen kann, um jemand zu heilen, wie weit ist dann der Weg um komplett am Reißbrett entworfene Menschen künstlich zu kreieren? Die Einschätzung, was in diesem Fall erlaubt ist, fällt sogar Professoren und anderen Spezialisten schwer. Es ist eine völlig neue Dimensionen, wo man überhaupt keine Ahnung hat, wohin es führt, wenn man diese oder jene Tür öffnet.
MaHa: Hinter „Blueprint“ steckt auch die Frage, ob es richtig ist, dass man sich durch seine Kinder reproduzieren will.
Potente: Das denke ich. Auch als Schauspielerin geht es für mich um die Frage, wo kann ich mich in Ansätzen identifizieren? Um Projektion geht es doch immer: als Eltern mit Kindern, in jeder Liebesbeziehung, in jeder Freundschaft. Wenn man Iris fragen würde, würde sie immer sagen: „Ich liebe dieses Kind! Ich liebe dieses Kind!“ Und wir sagen doch auch: Wir lieben unseren Partner. Wir lieben unseren Hund. Aber vielleicht haben wir den Hund auch nur, weil wir sonst allein wären. Vielleicht stehen wir gar nicht auf Tiere und müssen niesen, wenn es rumläuft. Was ich damit sagen will: Es gibt bewusstes und unbewusstes. Es ist nur menschlich, zu projizieren, auch aus Egoismus. Davon hat Iris sehr viel – sie ist total überhöht. Ich glaube trotzdem, dass sie eine Entwicklung durchmacht. Das nämlich, was gegen ihren Plan verläuft, also das, was bei Siri eigentlich aus der Art schlägt, vermisst sie am Ende auch bei sich selbst.
MaHa: Verhält es sich also zwischen Iris und Siri wie bei Doctor Doolittle`s „Stoßmichziehdich“?
Potente: Sicher. Und dafür muss man wahrscheinlich noch nicht mal geklont sein, um so etwas zu erleben...! Es ist ja auch eine Hassliebe zwischen den beiden – und sie sind trotzdem Mutter und Tochter, auch wenn es nicht auf natürlichem Weg zustande kam.
MaHa: Sie standen für „Blueprint“ nicht nur in Kanada vor der Kamera, sondern auch in Münster nicht unweit von Ihrem Elternhaus. Kommen da noch mehr Erinnerungen aus der Kindheit hoch, als wenn man in andere Rollen an anderen Drehorten schlüpft?
Potente: Wenn ich arbeite, arbeite ich wirklich, d.h., ich bin in dieser Beziehung total asozial, weil ich kaum noch etwas anderes leisten kann. Das war hier natürlich doppelt so viel als sonst. Nichts desto trotz hatte ich diesmal Vater, Mutter, Tante und Oma am Set, weil sie nicht weit entfernt wohnten. Meine Mutter hat sich auch nicht davon abbringen lassen, meine Wäsche zu waschen. Es war mir alles sehr vertraut – bis zu den Leuten aus Münster, die bei der Produktion mitwirkten. Dafür bin ich natürlich offen, aber ansonsten ist man schon sehr im Film drin. Bei aller Liebe war es manchmal allerdings wirklich ein bisschen zuviel. Ich habe es nach Hause in Dülmen auch nur einmal geschafft. Für mich hieß es am Wochenende a) einmal richtig auszuschlafen, um den Kopf frei zu kriegen und b)
mit dem Pianisten zu üben. Ich konnte einfach nicht vollkonzentriert über die Gebrechen der Bekannten reden und gleichzeitig noch Kaffee machen, aber das wird von einer guten Tochter natürlich immer ein bisschen erwartet.
MaHa: Sind Sie denn immer eine „gute Tochter“ gewesen?
Potente: Ich habe wie mein Bruder immer auch ein bisschen rebelliert, so wie man rebellieren kann, doch wir waren immer moderat. Es gibt ja Teenager, die nicht mehr zur Schule gehen, sich einen Knopf an die Backe nähen und Drogen wie wild nehmen. Ich habe manchmal schon retrospektiv gesagt: Ihr könnt so froh sein, dass ihr uns als Kinder hattet. Ich glaube, meine Eltern hatten nie wirklich Probleme mit uns, obwohl natürlich auch manchmal die Fetzen flogen und mein Vater mit mir eine Woche nicht redete, als ich mit 18 Jahren mein erstes Tattou hatte. Er wollte es übrigens auch nicht sehen... Ich fand es immer scheiße, wenn mir vorgeschrieben wurde, was ich anzuziehen hatte. Mein Vater war ja in einer Kleinstadt Leiter einer Hauptschule, und wenn dann die Tochter in einer zerfetzten Jeans herumlief, dann dachten die Honoratioren der Stadt, dies wäre ein großes Problem. Und das fand ich halt ein Problem. Mir gefiel auch nicht, dass mein Vater Mercedes fuhr. Den Wagen wollte ich eine zeitlang nicht betreten. Das war für mich mit 16 ein kapitalistisches Statussymbol – und das fand ich uncool. Ich hörte lieber Punkmusik von den Goldenen Zitronen oder Independentpop von Phillip Boa and the Voodooclub. Halt alles mögliche Krachzeug. Insgesamt verlief meine Kindheit und Jugend also total harmlos.
MaHa: In Kanada wiederum haben Sie jenseits der Zivilisation gedreht. Gab es nennenswerte Zwischenfälle?.
Potente: Nicht wirklich. Wir haben in Kanada auf Vancouver Island gedreht und das hatte ungefähr die Atmosphäre von Astrid Lindgrens „Ferien auf Saltrokan“. Totale Wildnis. Da gab es einen kleinen Tante-Emma-Laden und ansonsten einen Haufen Bären und im Wasser Wale und Lachse. Ich habe zusammen mit fünf Teammitgliedern in einem riesigen Holzhaus gewohnt. Die Kanadier schließen die Türen nicht ab, doch es hat uns kein Raubtier besucht. Dafür übernahm ich diverse Haushaltsaufgaben, machte Frühstück und dergleichen, während mir die Maskenbildnerin halb verschlafen die Perücke aufsetzte. Da möchte ich unbedingt noch einmal privat hin.
MaHa: Seit einigen Jahren wagen Sie den Spagat zwischen deutscher Karriere und Hollywood-Angeboten. Gibt es für Sie generelle Unterschiede in der Arbeit?
Potente: Als Spagat nehme ich es gar nicht wahr. Das eine hat sich aus dem anderen ergeben. Die Möglichkeit in Amerika zu arbeiten, kam ganz klar durch „Lola rennt“ zustande und ist immer noch limitiert. Da lese ich, was ich lesen kann. Und was sich dann ergibt, und was ich mag, das mache ich dann – genauso wie bei einem deutschen Drehbuch. Ich finde es bei englischsprachigen Produktionen immer gut, wenn ich nicht meinen Akzent wegradieren muss. Einfach aus dem Grund, weil ich meine, dass ich dann besser spiele.
MaHa: Stimmt es, dass Sie vertraglich dazu verpflichtet sind, an der Fortsetzung von „Bourne Identity“ mitzuwirken?
Potente: Ja, aber ich hätte es auch freiwillig getan. Und bin sehr froh darüber, dies ehrlich sagen zu können. Paul Greengrass ist jetzt unser neuer Regisseur. Ich begebe mich freiwillig nach Indien, hätte aber im Zweifelsfall auch keine Wahl gehabt.
MaHa: Sie sollen in diesem Film, kaum das man Sie gesehen hat, sehr schnell Ihr Kinoleben aushauchen...
Potente: Darüber darf ich leider noch nicht sprechen, aber es gibt eine Romanvorlage, in der man es nachlesen kann. Ich selbst habe die Vorlage nicht zuende gelesen, weil ich sie ein bisschen reaktionär fand..
MaHa: Sie sagen „reaktionär“. Ist Ihnen das dann egal bei der Auswahl eines Rollenangebots?
Potente: Die Romanvorlage wurde in den 1980er Jahren geschrieben. Das war eine andere Zeit. Das Drehbuch macht nur Anleihen. Bei uns werden Frauen nicht an den Haaren gezogen. Das Original sprühte in der Tat noch vor dunkelstem Machoverhalten.
MaHa: Sie gelten als perfektionistisch. Haben Sie wirklich für „Blueprint“ Klavierspielen gelernt?
Ich hatte ein halbes Jahr Klavierunterricht, wobei mir meine Geigen-Vorkenntnisse recht nützlich waren. Irgendwann mussten wir natürlich faken. Kleine Teile von Musikstücken konnte ich im Film tatsächlich selbst vortragen, doch der Großteil wurde natürlich eingespielt. So beherrschte ich die exakten Gesten, war aber nach Anfangserfolgen, etwas enttäuscht, dass ich ad hoc keinen Mozart oder Bach auf dem Flügel spielen konnte. Somit bin ich wieder lieber zur Geige zurückgekehrt.
MaHa: Inwieweit haben Sie sich im Zusammenhang mit der Mutter-Tochter-Doppelrolle auch mit einem eigenen Kinderwunsch auseinandergesetzt?
Potente: Grundsätzlich möchte ich auf jeden Fall Kinder haben, aber so etwas machst Du schließlich nicht alleine. Wenn man - wie ich - derzeit ein bisschen heimatlos ist, auch wenn es bald wieder geografisch eine gibt, hat man andere Gedanken. Ich habe erst seit einigen Monaten einen neuen Freund und da denkt man über so etwas noch nicht nach. Ein Kind zu zeugen bzw. zu bekommen, ist vielleicht das größte Wunder der Evolution. Es aufwachsen zu sehen, wirft neue Perspektiven aufs eigene Leben. Und das, ohne Drogen zu nehmen! (lacht) Irgendwann würde ich das gerne mitnehmen. Vor allem der Teil der Entwicklung des Kindes bis zum fünften Lebensjahr. Das ist wohl wirklich ein doppeltes Geschenk an die Eltern, die sich an diesen Abschnitt ihrer eigenen Kindheit meist nur diffus erinnern können und ihn dann noch mal durchleben dürfen.
MaHa: Haben Sie eigentlich Angst vor einem eventuellen Karriereknick?
Potente: Ich könnte mir vorstellen, bevor irgendetwas knickt, knicke ich lieber selber. Obwohl ich meinen Beruf liebe, denke ich, ich könnte irgendwann auch noch etwas anderes machen. Ich habe gerade ein Jahr Auszeit genommen, zwar in Amerika, konnte aber wieder ein quasi normales Leben führen. Wichtig ist mir, mich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Mit zunehmenden Alter versuche ich, ständig mehr über mich herauszufinden.
MaHa: Was möchten Sie denn gerne herausfinden?
Potente: Auch wenn sich das jetzt total prätentiös anhören mag: Ich möchte intensiv leben, aufmerksam sein, sowohl Ruhe und Gelassenheit lernen, als auch als auch frei zu sein in Beziehungen, in der Liebe und im Denken. Ich finde analytisches Denken gut, beschäftige mich seit Jahren damit, ob ich nun lese, schreibe oder fotografiere. Dem neben oder Hand in Hand mit meinem derzeitigen Beruf nachzugehen, möchte ich nicht missen. Es gibt so vieles zu erleben, es muss nicht nur das eine sein.
MaHa: Lenkt Sie der ganze PR-Rummel um Ihre Person manchmal nicht von Ihrer eigentlichen Zielsetzung ab?
Potente: Er verführt manchmal dazu. Ich habe oftmals ein Respektsproblem mit der Branche, in der ich selbst drin stecke. Je älter ich werde, je mehr ich mache, desto mehr Ambivalenzen tun sich mir auf, die ich immer schwieriger finde. Das geht Ihnen als Journalist sicher nicht anders. Bei diesem ganzen Überbau von Publicity, der sich um meine eigenen Filme oder gar meine Person dreht, denke ich häufig: Jetzt mal Butter bei die Fische. Das interessiert doch nicht wirklich. Bin ich nicht selbst schon Bestandteil eines Systems, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob ich wirklich alles mitmachen muss?
MaHa: Sie haben mal gesagt, dass „Blueprint“-Regisseur Rolf Schübel Ihnen viel Freiheit gelassen hat. Lassen Sie sich als Schauspielerin auch mal gerne führen?
Potente: Selbstverständlich, das ist mir sogar lieber. In der Hinsicht bin ich ganz konservativ. Es geht zwischen Schauspieler und Regisseur darum, gemeinsame Schnittmengen zu erarbeiten, aber auch Unterschiede zu erkennen, die die Kooperation nicht behindern dürfen. Ich brauche immer jemand der von außen draufsieht, mit dem ich über die Rolle diskutieren kann. Manche Regisseure sind nicht immer vor Ort – und da wird es für mich problematisch.
MaHa: Sie wirken sehr selbstbestimmt, scheinen auch im richtigen Augenblick loslassen zu können.
Potente: Bei den Entscheidungen, die ich treffe, verhält es sich wie mit dem Kubik –Würfel. Ich versuche solange zu probieren, bis die Teilchen richtig zusammen passen. Analytisches Denken - und daraus unumstößliche Entscheidungen zu treffen - ist etwas weibliches. Diese These erlaube ich mir einfach mal aufzustellen. Frauen sind Brüter. Wir können auf verschiedenen Leveln denken, weil wir es genetisch müssen. Potentiell sind wir ja zwei. Ich sage nicht, dass Männer dumm sind, im Gegenteil, von Tom Tykwer habe ich beispielsweise viel über Perspektivwechsel gelernt, ich glaube nur, dass bei Frauen in einem bestimmten Alter diese Gabe besonders ausgeprägt ist. Ich habe gesehen, dass Männer unter Druck anders funktionieren. Wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, dann ist sie getroffen, aber ich habe es mir sehr genau überlegt.

Das Gespräch führte Marc Hairapetian.