Nena

„Nichts mehr verstehen, nur noch aufnehmen“

Science fiction statt Fantasie: Interview mit der Sängerin und Gelegenheitssynchronsprecherin Nena über Kinder, die Neue Schule Hamburg, die Neue Deutsche Welle und Quantenphysik


Von Marc Hairapetian

Die am 24. März 1960 in Hagen geborene Gabriele Susanne Kerner , besser bekannt als Nena (was aus dem Spanischen übersetzt „Mädchen“ heißt), feiert Comeback auf Comeback. Durch den Hit „99 Luftballons“ ihrer gleichnamigen Band machte sie Mitte der 1980er Jahre international Furore und gilt auch heute noch als eine der weltweit populärsten deutschsprachigen Sängerinnen.

Von Marc Hairapetian

Marc Hairapetian: Was hat Dich gereizt, die Drachendame Saphira in dem Kinofilm „Eragon - Das Vermächtnis der Drachenreiter“ auf Deutsch zu synchronisieren?

Nena: Saphira hat auch im Original eine sehr schöne Sprechstimme, die zugleich rauchig und erotisch ist. Das Schöne daran ist ja, das die Drachen hier mit ihren Gedanken kommunizieren. Ich musste also noch nicht mal lippensynchron sein. Ich habe die Synchronarbeiten in erster Linie aus Liebe zu meinem elfjährigen Sohn Samuel übernommen. Die Geschichten von „Eragon“ gehören zu seinen Lieblingsbüchern, und er hat mir eine Zusammenfassung gegeben.

Hairapetian: Eragon“ ist ein typisches amerikanisches Vorweihnachtsmärchen...

Nena: Na ja, es ist letztendlich die Gut- und Böse-Geschichte, was mich auch eher langweilt an Büchern und in Filmen. Wir Menschen haben auch langsam andere Inhalte nötig, weil wenn du die Geschichte von Gut und Böse erzählst, baust du dir letztendlich ein Feindbild. Das ist mein einziger Kritikpunkt. Ich hatte dann auch Spaß an dieser Rolle, weil die Saphira eine ganz sanftmütige Drachenfrau ist, die ich ja auch nie auf der Leinwand im Synchronstudio gesehen habe. Ich durfte sie nicht sehen. Auf dem Bildschirm war nur ein verschwommenes, schemenhaftes Etwas erkennbar, mehr nicht. Das war alles streng geheim. Ich habe nur ab und zu Eragon und Brom, den Geschichtenerzähler von Carvahall, gesehen und sprechen gehört.

Hairapetian: Wenn dir gut und böse zu eindimensional ist, welche anderen Inhalte interessieren dich dann?

Nena: Es gibt durchaus spannende Geschichten zu erzählen und Drehbücher zu schreiben, wo es nicht darum geht, am Schluss das Böse zu bekämpfen. Mit anderen Inhalten meine ich, dass man den Menschen zeigt, dass man Dinge auch anders machen kann. Es gibt nicht nur die Strukturen, die wir gewohnt sind. Ich schreibe gerade an einem Musiktheater, wo es zwar auch einen Bösen gibt. Doch es geht nicht darum, ihn dem Gar aus zu machen, damit alles wieder in Ordnung ist.

Hairapetian: „Eragon“ ist ein weiterer Fantasy-Film. Bist du ein Fan dieses Genres?

Nena: Nein, eher begeistert mich Science-fiction. Fast alle meine Lieblingsfilme sind aus diesem Genre, ob es sich um „Blade Runner“, „Tron“, „Raumschiff Orion“ oder „2001 – Odyssee im Weltraum“ handelt. Ich bin bei letzterem immer noch nicht über die Hälfte hinaus, obwohl ich schon fünf Mal angesetzt habe. Doch das ist als Kompliment gemeint: Ich finde ihn so intensiv!

Hairapetian: Du warst als Künstlerin bereits mehrfach totgesagt, bist aber immer wieder zurückgekommen. Hat Dich die Rückkehr deines Erfolgs selbst überrascht?

Nena: Es gibt immer ein Kommen und ein Gehen. Ich kann jetzt auch rausgehen und wieder reinkommen. Dann haben wir ein perfektes Comeback. Mich hat weder der Erfolg überrascht, noch die Art und Weise. Ich mache ja keine Platte und definiere mich darüber, was dieses Werk bewirken soll. So denke ich einfach nicht. Was nun letztendlich der Auslöser ist, warum und wieso. Das ist doch schön, wenn auf jeden Fall die „99 Luftballons“ wieder mal geholfen haben. Mich stört das nicht.

Hairapetian: Du bist ein Kind der Neuen Deutschen Welle. Hast Du auch Kontakt zu Bands jenseits von Hubert Kah und Marcus gehabt?

Nena: Nicht wirklich. Ich hatte schon zu meinen Hagener Zeiten hatte ich auch keinen Kontakt zu Extrabreit. Es gab mal eine schöne Verbindung mit den Humpe Sisters, aber die hat sich auch so undramatisch wieder aufgelöst. Ich finde es super, dass es so künstlerisch wertvolle Gruppen wie Fehlfarben gab und immer noch gibt. Aber, was mir auf die Nerven gegangen ist bei vielen von denen, ist dieses angestrengt hip sein zu wollen. Die waren doch sowieso anders.

Hairapetian: Hat auch ein Popstar irgendwann den Zenit überschritten?

Nena: Das Verfallsdatum kreiert man sich ja selber, wenn man eben nicht kindlich denkt. Ich kann nur für mich reden. Wenn man die Offenheit nicht mehr hat und auch nichts mehr wagt, dann hat so ein Verfallsdatum sicher auch seine Berechtigung.

Hairapetian: Hörst du dir gerne deine eigenen Songs an?

Nena: Ja, wenn sie frisch sind. „99 Luftballons“ höre ich mir ganz sicher nicht an. Das spiele ich auf der Bühne - und dann macht es auch Spaß. Meine Kinder hören ab und zu meine alten Platten. Da gehe ich dann durch das Haus und denke: Was ist das denn?

Hairapetian: Du hast immer viel für Kinder gemacht: Filme synchronisiert, Platten besungen. Hält das alles jung?

Nena. Ja, also, es geht nicht darum, mich jung zu halten, sondern mich jung zu fühlen. Das Wort Kinder mag ich eigentlich nicht, das sind Menschen - und die sind alle unterschiedlich. Und dadurch, dass ich selber so viele habe, sind auch in unserem Haus wirklich viele Kinder. Wir haben einfach einen Zugang zueinander. Da klafft nicht so eine Erdspalte. Es ist auch mit meinen Teenagern nicht so, dass da dieses Antielternprogramm gefahren wird. Man knallt aneinander, aber das hat nicht mit dem Alter zu tun.

Hairapetian: Was ist aus deinen Plänen mit der Neuen Schule Hamburg, in der ein Kind nur lernen soll, was es möchte, geworden?

Nena: Die Schule ist da. Es hängt an der Hamburger Schulbehörde. Die sind dem ganzen Projekt gegenüber echt wohlwollend zugeneigt. 50 Kinder sind schon angemeldet, auch die Lehrer stehen auf Abruf bereit, Wir fangen jetzt an, das Haus zu renovieren. Ich kann das auch nicht alles selber bezahlen. Deswegen sind wir auch auf Spenden angewiesen. Es hängt an der Genehmigung. Es gibt viele Eltern, die wollen ihre Kinder gar nicht mehr zur Schule schicken. Das kann ich total verstehen, aber ich möchte trotzdem gerne mit der Schulbehörde zusammenarbeiten. So wie wir das machen wollen mit der Schule, ist das zwar anders, aber es ist nicht weltfremd. Das ein Kind lernen darf, was es lernen möchte, ist wichtig. Es soll nicht für den Lehrer oder für den Test lernen, sondern für sich und sein Leben. Die Schule, wie man sie heute lebt, ist ein Teilzeitgefängnis. Und ich bin gegen diese Form der Freiheitsberaubung. Das klingt sehr radikal, aber wenn man sich einen Gedanken darüber erlaubt, muss man zu diesem Entschluss kommen.

Hairapetian: Was soll anders an der Neuen Schule Hamburg sein?

Nena: Das wird ein Haus sein, wo jedes Zimmer, jeder Computer, jedes Buch jedem gehört. Jeder Lehrer wird da sein, wenn er angesprochen und gebraucht wird.

Hairapetian: In „Eragon“ geht es ja ums Übersinnliche. Glaubst Du an höhere Mächte?

Nena: Mit der Frage kommt man nicht mehr weit, weil es letztendlich so ist, dass es dich gar nicht gibt. So wie du da sitzt, gibt es dich gar nicht. Es ist alles eine reine Programmierungsfrage. Sieh dir den Film „What the bleeb do we know!?“ an! Da geht es um Quantenphysik. Seit ich weiß, möchte ich gar nichts mehr verstehen in diesem Leben. Ich möchte es nur noch aufnehmen. Dass ein Quantenteilchen an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig sein kann, ist bewiesen. Seitdem ist alles möglich, Was sind deine Gedanken? Kannst du sie sehen und anfassen? Nein. Also ist es was Übersinnliches. Wenn du verliebt bist, das ist das auch dieses Gefühl: Du kannst es nicht sehen, es nicht anfassen, aber es ist da. Also muss man sich auch nicht auseinandersetzen, ob es das gibt, weil es ja ohnehin alles da ist...!

Das Interview mit Nena führte Marc Hairapetian am 21. November 2006 im Park Hotel Hyatt Hamburg.

 Foto: Nena mit Spirit von Marc Hairapetian.