Pfeif´mir das Lied vom Tod

Johannes Naber verhebt sich an Wilhelm Hauff: "Das kalte Herz" (deutscher Kinostart 20. Oktober 2016)

von Marc Hairapetian

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"Schatzhauser im grünen Tannewald, bist schon viel hundert Jahre alt. Dir gehört all Land, wo Tannen stehn - lässt dich nur Sonntagskindern sehn": Der berühmte Vers des gutherzigen, aber mittellosen Kohlenmunk-Peters, der im tiefen Schwarzwald das Glasmännlein um drei Wünsche bittet, wird in Johannes Nabers Neuverfilmung von "Das kalte Herz" nicht aufgesagt. Und auch sonst vermisst der Zuschauer vieles von dem, was Wilhelm Hauffs Märchen aus dem Jahr 1827 zu einem der größten Klassiker der romantischen Literatur werden liess: Poesie und ethisches Anliegen treten gegenüber modern-vulgärer Sprache und CGI-Fantasy-Ästhetik in den Hintergrund. Bei aller Ambition ist dabei aber nur ein "Herr der Ringe"-Verschnitt für Arme herausgekommen.
 Köhler Peter Munk (Frederick Lau) steht in der gesellschaftlichen Hackordnung ganz unten. Nichtsdestotrotz ist er in die Tochter des Glasmachers Löbl (Sebastian Blomberg), Lisbeth (Henriette Confurius), verliebt. Um ihr Herz und das Ansehen der Dörfler zu gewinnen, geht das Sonntagskind zum Glasmännchen (Milan Peschel) und äußert drei (törichte) Wünsche. Sie werden ihm gewährt, aber weil Peter ihre Auswirkungen nicht bedacht hat, ist er schon bald wieder bettelarm. Abermals bricht er zum Tannenbühl auf, doch dieses Mal wendet er sich an den finsteren Holländer-Michel (Moritz Bleibtreu) und tauscht sein Herz für Geld gegen ein Herz aus Stein. Nach einer Weltreise kehrt er als skrupelloser Millionär in die Heimat zurück, um Lisbeth zu heiraten. Erst durch ein tragisches Ereignis erkennt er, dass er mit kaltem Herzen nicht leben will.
 "Das kalte Herz" erschien in Hauffs "Märchenalmanach auf das Jahr 1828", in zwei Teilen als Binnenerzählung eingebettet in die nicht minder bekannte Geschichte "Das Wirtshaus im Spessart". Die erste Kinoadaption des deutschen Regisseurs Paul Verhoeven (1901 - 1975, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Niederländer) wurde 1951 auf dem Internationalen Filmfestival von Karlovy Vary als bester Farbfilm ausgezeichnet. Unverhohlen übte die für damalige Zeit sehr aufwändige und gruselige DEFA-Produktion Kapitalismuskritik und bestach durch gute schauspielerische Leistungen (allen voran Erwin Geschonnek als Holländer-Michel). Unzählige Hörspiel-Aufnahmen sorgten später in den Kinderzimmern für Gänsehaut, man denke nur an die die geniale "Europa"-LP von und mit dem unvergessen Konrad Halver (1944 - 2012), der den Kohlenmunk-Peter zuerst edel, dann arrogant intonierte. Nach einem indiskutablen Fernsehfilm des ZDF aus dem Jahr 2014 nun also ein weiterer filmischer Versuch, der Vorlage gerecht zu werden.
 Nach einem "stimmungsvollem" Splatter-Auftakt, indem sich der Holländer-Michel das eigene Herz aus Raffgier aus dem Leib schneidet, scheitert Johannes Naber, immerhin Regisseur von "Der Albaner" (2010) und "Zeit der Kannibalen" (2014), auf ganzer Linie. Obwohl zum Teil im Schwarzwald gedreht, sprechen die überforderten Schauspieler in der uninspirierten, zum Teil unfreiwillig komischen Inszenierung nicht nur hochdeutsch, sondern wie im Ghetto. So Sebastian Blomberg zum wenigstens bemühten Frederick Lau: "Wenn Du nicht die Augen von meiner Tochter lässt, kastrier´ ich Dich!" Das ist weder kindgerecht, noch im Geist von Hauff. Vor allem Maske und Kostüme der Märchen-Wesen wirken lächerlich. So sieht Milan Peschel wie eine grünliche Karikatur des "Gollum" aus. Moritz Bleibtreu, der im Interview zugibt, dass er keinen besonderen Bezug zu den klassischen Märchen hat, legt den Holländer Michel immerhin in einer Mischung aus Indianer und Vogelscheuche wie eine Italo-Westenfigur an und pfeift sich im Angesicht seiner Schandtaten das Lied vom Tod im Ennio-Morricone-Stil.

Marc Hairapetian am 29. September 2016 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com

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