Jules und Jim im Genozid

Kirk Kerkorians Vermächtnis: "The Promise - Die Erinnerung bleibt" ab 17. August in deutschen Kinos

von Marc Hairapetian

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Größere Ansicht anzeigen Oscar Isaac als Mikael Bogosian

"Wir werden uns rächen, indem wir überleben."
(Charlotte Le Bon als Ana Khesarian in "The Promise - Die Erinnerung bleibt")


Das erlebt man in Berlin nur sehr selten bei einer Pressevorführung: Selbst hartgesottene Filmjournalisten, die Horror- und Splatterfilme mit einem Lächeln quittieren, mussten bei einigen Szenen weinen, als ihnen "The Promise - Die Erinnerung bleibt" vorgeführt wurde. Um es vorweg zu nehmen: Es ist der Hollywood-Film geworden, auf den die weltweite armenische Gemeinde jahrzehntelang gewartet hat! Neben Elia Kazans Meisterwerk "Die Unbezwingbaren" (Orginaltitel: "America, America", USA 1963) kann man das Drama des aus Belfast stammenden Regisseurs und Drehbuchautoren Terry George als die bisher beste cineastische Auseinandersetzung der sogenannten "Traumfabrik" mit dem in Auftrag der Jungtürken erfolgten Genozid an der ersten christlichen Nation bezeichnen. Und dies nicht nur, weil der Film erschütternd ist, sondern auch historisch genau und stilistisch hervorragend gemacht.
Größere Ansicht anzeigen Christian Bale als Journalist Chris Myers
 Er avancierte zudem zum Vermächtnis von Kirk Kerkorian (6. Juni 1917 in Fresno, Kalifornien - 15. Juni 2015 in Los Angeles, ebenfalls Kalifornien), dem "König von Las Vegas", Erneuerer, Zerstörer und Wiedererneuerer von Metro-Goldwyn-Mayer. Als Ausführender Produzent der besonderen Art finanzierte der für seine Wohltätigkeit bekannte Multimilliardär den Großteil des Budgets von 90 Millionen US-Dollar aus eigener Tasche. Die Premiere am 11. September 2016 auf dem renommierten Toronto International Film Festival sollte er leider nicht mehr erleben, verstarb er doch 14 Monate zuvor im gesegneten Alter von 98 Jahren. Jetzt, wo er 100 geworden wäre, kommt "The Promise", dem der deutsche Verleih noch den sinnfälligen Zusatztitel "Die Erinnerung bleibt" gab, nach dem April-Start in den USA am 17. August auch in die deutschen Kinos. Im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten", das spätestens nach der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten zum "Land der begrenzten Unmöglichkeiten" mutierte, konnte die Prestige-Produktion nur 8,2 Millionen US-Dollar einspielen. Wahrscheinlich, weil viel zu viele US-Bürger immer noch nicht wissen, dass es einmal diesen ersten Völkermord im 20. Jahrhundert gegeben hat. Für Jonathan Helfgot, den Marketing-Direktor des US-Verleihs Open Road Films, war das kein Beinbruch. Er sagt wörtlich: "Natürlich haben wir auf ein besseres Box-Office-Resultat gehofft. Doch in erster Linie wollten wir die Welt auf dieses traurige Thema aufmerksam machen." Das ist zweifelsohne gelungen.
Größere Ansicht anzeigen Charlotte Le Bon als Ana Khesarian
 Während es viel positive Resonanz von nordamerikanischen Filmkritikern und zahlreichen Prominenten wie Jennifer Lopez, Barbara Streisand, Leonardo DiCaprio, Sir Elton John, der Popband Backstreet Boys und Sylvester Stallone, der selbst lange plante, Franz Werfels berühmten Armenien-Roman "Die 40 Tage des Musa Dagh" (1933) zu verfilmen, gab, wurde das Internetportal IMDb (International Movie Database) Opfer einer organisierten Kampagne von Leugnern des Völkermords an den Armeniern. Nachdem "The Promise - Die Erinnerung bleibt" erstmals in Toronto gezeigt wurde, standen 91.000 Votes zu Buche und davon erhielt der Film 57.000 Mal die niedrigste Bewertung von einem Stern! Die meisten dieser Bewertungen stammten von männlichen Usern außerhalb der USA und Kanadas die den Film also noch gar nicht gesehen haben konnten. Recep Tayyip Erdogans reaktionäre Politik scheint leider auch bei so manchem türkischen Kinofreund Früchte zu tragen. Inzwischen ist das Bild etwas gerade gerückt. Immerhin entfielen auch über 30.000 Stimmen auf die Höchstwertung von zehn Sternen - und die kamen nicht alle von Armeniern.
 Ein Film, der - wie nicht anders zu erwarten - für Kontroversen sorgt. Widmen wir uns an dieser Stelle erst einmal dem Inhalt, bevor er analysiert wird: Mikael Boghosian (Oscar Isaac), Sohn eines Apothekers, lebt im kleinen armenischen Ort Sirun (ein fiktives Städtchen, in Armenien gibt es nur ein großes Feld, das so heißt) im südöstlichen Teil des Osmanischen Reiches. Im Jahr 1914 kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs reist er für sein Medizinstudium nach Konstantinopel. Da die Universität dort sehr teuer ist, erhält er vom vermögenden Nachbarn 400 Goldmünzen. Dafür muss er das Versprechen abgeben, dessen liebe, aber nicht sonderlich attraktive Tochter Maral (Angela Sarafyan) zu heiraten, wenn er wieder zurückkommt. Im sich auf mondänen Konstantinopel lernt er den Associated-Press-Fotojournalisten Chris Myers (Christian Bale) und dessen Geliebte, die armenische Künstlerin Ana Khesarian (Charlotte Le Bon), kennen, die aus dem eleganten Paris in die halb orientalische, halb europäische Stadt am Bosporus gereist sind. Mikael verliebt sich hoffnungslos in Ana, fühlt sich aber noch an sein Versprechen Maral gegenüber gebunden. Auch Ana entwickelt Gefühle für ihn, zumal der idealistische Chris seinen Weltschmerz allzu häufig im Alkohol ertränkt. Und so nähern sich die beiden Armenier vorsichtig einander an, bis sich die Leidenschaft schließlich gewaltig ihren eigenen Weg bahnt. Doch das gemeinsame Glück währt nicht lange, denn um sie herum bricht der Krieg aus und das vormals so lebendige und multikulturelle Konstantinopel versinkt im Chaos. Mikael und Ana fliehen gemeinsam und müssen dabei angesichts des drohenden Genozids an den Armeniern nicht nur für ihre Liebe zueinander kämpfen, sondern auch um ihr nacktes Überleben und das von ihren Familien.
Größere Ansicht anzeigen Ausführender Produzent von "The Promise": Kirk Kerkorian (1915 - 2015)
 Die Geschichte basiert auf dem nicht verfilmten Skript namens "Anatolia" von Robin Swicord ("Die Geisha", "Der seltsame Fall des Benjamin Button"). Terry George, der für "Im Namen des Vaters" (1994, zusammen mit Jim Sheridan) und "Hotel Ruanda" (2005, mit Keir Pearson) Drehbuch-Oscar-Nominierungen erhielt und die begehrte Trophäe für "Die Küste" (2012, mit seiner Tochter Oorlagh George) ergattern konnte, schrieb es komplett um und fügte den Part des engagierten US-Journalisten hinzu. Ein Glücksgriff, da sonst der britische (!) Schauspieler Christian Bale ("American Psycho", "The Dark Knight", "The New World"), ohne Zweifel einer der besten seiner Generation, nicht mitgewirkt hätte. Ein ähnliches Lob lässt sich für Oscar Isaac ("Drive", "Ex Machina", "Star Wars: Das Erwachen der Macht", "X-Men: Apocalypse"), US-Schauspieler guatemaltekischer Herkunft, aussprechen. "Armenischer" - wie er in "The Promise - Die Erinnerung bleibt" - kann man nicht aussehen. Doch es ist nicht allein das Äußere. Er hat, mit einem armenischen Akzent ausgestattet, seine Rolle verinnerlicht, ist zwischen Traditionsbewusstsein und persönlicher Leidenschaft hin- und hergerissen. Die Verbindung von Melodram und dem an sich nicht verfilmbaren Grauen eines Völkermords hätte auch fehlschlagen können. Doch Georges Inszenierung und die Darstellungskunst aller Beteiligten ist stets subtil. In der Tat wurden damals die Hoffnungen vieler junger armenischer Intellektueller, die gemeinsam mit den Jungtürken, einen modernen Staat aufbauen wollten, jäh zerstört - und das zeigt der Film auch exakt so. Das Dreiecksverhältnis zwischen Charlotte Le Bon, Christian Bale und Oscar Isaac erinnert entfernt an François Truffaut heiter-melancholischen Nouvelle-Vage-Klassiker "Jules und Jim" (Frankreich 1962) mit Oskar Werner (13. November 1922, Wien - 23. Oktober 1984, Marburg an der Lahn), Henri Serie (geboren am 26. Februar 1931 in Sète, Frankreich) und der kürzlich verstorbenen Jeanne Moreau (23. Januar 1928 in Paris - 31. Juli 2017, ebenda). Auch dieser Film spielte größtenteils vor und nach dem Ersten Weltkrieg und vermied ebenfalls alles Süßlich-kitschige zugunsten von echten Emotionen.
 Nach einer Odyssee voller Schrecken und Qualen kehrt Oscar Isaacs Mikael schließlich nach Sirun zurück und wird von seiner Mutter Marta (Shohreh Aghdashloo) an sein Versprechen erinnert. Und so ehelicht er Maral unter schwierigsten Bedingungen. Gemeinsam leben sie in einer abgeschiedenen Berghütte, sehen der Geburt ihres Kindes entgegen, aber türkische Soldaten spüren sie auch hier auf. Am Ende verliert Michael bis auf sein Leben (fast) alles, auch Ana, die sich ihm nach dem Tod seiner Ehefrau und des nicht nichtgeborenen Kindes wieder angeschlossen hat und sich mit ihm und von ihr betreuten Waisenkindern gemeinsam mit 4000 anderen Armeniern auf dem Musa Dagi (armenisch Musa Ler, "Mosesberg") im Nurgebirge im Süden der heutigen Türkei verschanzt. Er adoptiert die kleine Eva (Milene Mayer) und gewinnt bei allem Schmerz um die vielen Toten mit seinem einstigen Konkurrenten Chris einen wahren Freund.
 Auf geradezu kongeniale Weise fließen im letzten Drittel der 134 Minuten Elemente aus "Die 40 Tage des Musa Dagh" ein. Die Werfel-Filmadaption, die nie gedreht wurde, da die Türkei den USA bereits 1933 mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen drohte und auch der deutsche Produzent Ottokar Runze, der die Rechte erworben hatte, im neuen Jahrtausend die Finanzierung nicht zusammen bekam, ist jetzt als Fragment auf der Leinwand zu sehen. Die Szenen, bei denen sich die Armenier gegen die türkischen Unterdrücker in "The Promise - Die Erinnerung bleibt" erstmals organisiert mit Waffen zur Wehr setzen, sind um Authentizität bemüht. Den armenischen Anführer Stephan spielt der große kroatisch-slowenische Schauspieler Rade Serbedzija, der schon bei Milco Mancevski ("Vor dem Regen", 1994) und Stanley Kubrick ("Eyes Wide Shut", 1999) zu überzeugen wusste, mit angeborener Souveränität. In einer winzigen Rolle glänzt Jean Reno ("Léon - Der Profi") als französischer Admiral, der mit seinen Kriegsschiffen die Flüchtenden aufnimmt. Er, der tatsächlich viele armenische Freude hat, wollte bei diesem Film unbedingt dabei sein, wie er dem Verfasser dieser Zeilen persönlich sagte. Neben der wundervollen Musik von Gabriel Yared, die die Melancholie des armenischen Volkes in Melodien fasst, der sorgfältigen Ausstattung und den in imposanten Landschaften gelegenen Sets, denen man nicht anmerkt, dass zum Großteil in Portugal, Spanien und auf Malta gefilmt wurde, ist auch noch positiv zu erwähnen, dass die Türken keineswegs per se verteufelt werden. Die vielleicht beste Rolle hat der niederländisch-tunesische Akteur Marwan Kenzari als Emre Ogan: Um seinen türkischen Vater, einem hohen Militärmann im Osmanischen Reich, zu gefallen, studiert der Frauenheld und Lebemann Medizin und freundet sich mit Mikael an. Er wird nicht nur ihn vor dem Einzug in den Krieg bewahren, wodurch er selbst zum Wehrdienst muss, sondern später auch dem inhaftierten Chris helfen, was seine eigene Hinrichtung zur Folge hat. Seinen weit aufgerissenen, fragenden Augen kurz bevor er füsiliert wird, kann sich der Zuschauer genauso wenig entziehen wie den nahezu symbolisch ausgestreckten Händen von in einem überfüllten Güterzug transportierten Armeniern, die Mikael bei seiner Flucht todesmutig befreien will. Dafür kommt Deutschland in "The Promise - Die Erinnerung bleibt" als damaliger Verbündeter des Osmanischen Reiches berechtigter Weise nicht gut weg. Die von Dialogregisseur Torsten Sense vorgenommene Synchronfassung ist dank hervorragender Sprecher wie Julien Haggége (Oscar Isaac), Jessica Walther-Gabor (Charlotte Le Bon), David Nathan (Christian Bale) oder Christian Rode (Rade Serbedzija) übrigens exzellent.
 Das einzige Manko des Films: Zuschauern, die mit der Thematik des Völkermords an den Armeniern noch nicht vertraut sein sollten, werden vielleicht nicht alle Hintergründe, warum die muslimischen Jungtürken die christlichen Armenier ausrotten wollten, klar. Doch der Film will bewusst keinen Geschichtsunterricht geben, sondern das Publikum für eines der größten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte sensibilisieren und auch ganz allgemeingültig zeigen, weshalb nur der Mensch dem Menschen ein Wolf sein kann.

Marc Hairapetian am 1. August 2017 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com. Zusammen mit "The Cut"-Regisseur Fatih Akin präsentierte er 2015 den Focus Armeniern in der Caligari-Filmbühne Wiesbaden und zeigte dabei auch in einer Matinee Elia Kazan Meisterwerk "America, America" ("Die Unbezwingbaren". USA 1963): Caligari-Filmbühne-2015

The Promise Official Trailer 1 (2016) - Christian Bale Movie:

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